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VII. Jüdische Propaganda unter heidnischer Maske.

Am Schlusse unserer Uebersicht ist noch eine Classe literarischer Erzeugnisse zu besprechen, die für das hellenistische Judenthum höchst charakteristisch sind: jüdische Schriften unter heidnischer Maske. Die Schriften dieser Kategorie sind ihrer literarischen Form nach sehr verschieden, haben aber alle das gemeinsam, dass sie unter dem Namen irgend einer heidnischen Autorität auftreten, sei es nun einer mythologischen Autorität wie der Sibylle, oder unter dem Namen angesehener Männer der Geschichte, wie des Hekatäus und Aristeas. Eben die Wahl dieser pseudonymen Form beweist, dass alle diese Schriften für heidnische Leser berechnet sind und unter den Heiden für das Judenthum Propaganda machen wollen. Denn nur für heidnische Leser waren ja jene Namen eine massgebende Autorität; nur um ihretwillen kann also jene Form von einem jüdischen Verfasser gewählt sein. Es kommt demnach hier in significanter Weise die Tendenz zum Ausdruck, die überhaupt einem grossen Theil der hellenistischjüdischen Literatur eigenthümlich ist: die Tendenz, auf nichtjüdische Leser zu wirken. In irgend einer Hinsicht soll damit unter den Heiden für das Judenthum Propaganda gemacht werden. Die specielle Absicht ist aber allerdings eine verschiedene. Die Sibyllinen wollen Propaganda im eigentlichen Sinne machen. Sie halten dem Heidenthum direct die Thorheit des Götzendienstes und die Verworfenheit seines sittlichen Wandels vor, sie drohen für den Fall der Unbussfertigkeit mit Strafe und Verderben und verheissen für den Fall der Bekehrung Lohn und ewige Seligkeit; und sie wollen eben damit inmitten der Heidenwelt Anhänger für den jüdischen Glauben gewinnen. Bei anderen Schriften unserer Kategorie ist es aber auf eine Wirkung ganz anderer Art abgesehen; sie wollen nicht sowohl für den Glauben, als für die Ehre und das Ansehen des jüdischen Namens Propaganda machen. So will z. B. Pseudo-Aristeas mit seiner ganzen Erzählung von der Uebertragung des jüdischen Gesetzes in's Griechische zeigen, welche hohe Meinung der gelehrte Ptolemäus II Philadelphus von dem jüdischen Gesetz und der jüdischen Weisheit überhaupt hatte, und mit wie hohen Ehren er die jüdischen Gelehrten behandelte. Eine direct missionirende Absicht

Ueber die Sabbathfeier vgl. auch Aristobul bei Euseb. Praep. evang. XIII, 12, 9-16; über die unreinen Thiere: Pseudo-Aristeas in Havercamp's Josephus II, 2, 117.

tritt bei dem Verfasser nicht hervor; es ist ihm mehr nur darum zu thun, für das Judenthum und das jüdische Gesetz Stimmung zu machen. Und so tritt nun überhaupt bei den Schriften dieser Kategorie bald mehr die eine bald mehr die andere Absicht hervor: bald die Absicht Gläubige zu gewinnen, bald die Absicht Stimmung zu machen. In irgend einer Weise aber und im weiteren Sinne dienen sie alle der Propaganda für das Judenthum. Und da sie dies alle durch die Wahl der heidnischen Maske thun, so gehören sie alle unter eine Kategorie, so verschiedenartig sie auch sonst nach Form und Inhalt sind.

Wir beginnen die Besprechung mit den sibyllinischen Orakeln, nicht weil sie die ältesten Schriften dieser Classe sind, sondern weil sie nach Umfang und geschichtlicher Wirkung die bedeutendsten sind,

1. Die Sibyllinen.

Die Sibylle war im heidnischen Alterthume die halbgöttische Prophetin der Ordnungen und Rathschlüsse der Götter über das Schicksal der Städte und Reiche" (Lücke) 54). Von dem amtlichen priesterlichen Prophetenthume unterschied sie sich dadurch, dass sie mehr ein freies nicht-officielles Prophetenthum darstellte. Und zwar ist sie zunächst Personification der in der Natur sich offenbarenden Gottheit. Sie wird vorgestellt als Nymphe, an Gewässern und in Grotten wohnend. Die ältesten Autoren sprechen nur von einer Sibylle; so Heraklit, der überhaupt zuerst ihrer gedenkt (bei Plutarch, de Pythiae oraculis c. 6); ebenso auch Euripides, Aristophanes, Plato 55). Die Thatsache, dass man an verschiedenen Orten ihre Stimme vernommen haben wollte, führte dann zu der Annahme, dass sie von Ort zu Ort gewandert sei 56). Endlich aber begnügte man sich auch damit nicht mehr und unterschied verschiedene Sibyllen, die an ver

54) Das wichtigste Material über die Sibyllen hat schon Opsopöus zusammengestellt in seiner Ausgabe der Orac. Sibyll. p. 56-143. Aus neuerer Zeit vgl. bes.: Klausen, Aeneas und die Penaten (1839) S. 203-312. Lücke, Einleitung in die Offenbarung des Johannes (2. Aufl.) S. 81 ff. Alexandre in seiner ersten Ausgabe Bd. II (1856) S. 1-101. Scheiffele Art. „Sibyllae" in Pauly's Real-Enc. VI, 1147–1153. Pape-Benseler, Wörterb. der griech. Eigennamen s. v. Eißvλ2α. Marquardt, Römische Staatsverwaltung Bd. III (1878) S. 336 ff. Bouché-Leclercq, Histoire de la divination, Bd. II: Les sacerdoces divinatoires; devins, chresmologues, Sibylles; Oracles des dieux. Paris 1879. Maass, De Sibyllarum indicibus. Diss. Gryphiswald. 1879.

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55) Maass, De Sibyllarum indicibus p. 1. 56) Z. B. Pausanias, Descr. Graec. X, 12.

schiedenen Orten gelebt haben sollten. Die Zahl derselben wird verschieden angegeben. Es sind eben gelehrte Combinationen, die bald in dieser bald in jener Weise gemacht werden 57). Bemerkenswerth ist die Darstellung des Pausanias (Descr. Graec. X, 12), der vier Sibyllen unterscheidet: 1) die Herophile, die aus Marpessus in der Gegend von Troja stammte, an verschiedenen Orten Kleinasiens und Griechenlands weissagte und von den Erythräern fälschlich für eine Erythräerin ausgegeben wurde, 2) eine ältere, deren Heimath infolge einer Lücke im Pausanias-text nicht zu constatiren ist, wahrscheinlich die libysche (Maass S. 7), 3) die kumanische und 4) die hebräische, welche auch die babylonische oder ägyptische genannt werde. Wie es scheint, will Pausanias damit die vier Hauptarten der Sibylle angeben: die libysche als die älteste, die kleinasiatischgriechische, die römische und die orientalische. Letztere bezeichnet er ausdrücklich als die jüngste. Höchst wahrscheinlich ist die darauf bezügliche Notiz bereits ein Niederschlag der jüdischen Sibyllendichtung 58). Von anderen Zählungen ist am bekanntesten die des Varro, welcher zehn Sibyllen nennt 59). In der römischen Zeit waren am berühmtesten die erythräische (aus Erythrä an der jonischen Küste gegenüber der Insel Chios) und die kumanische (in Unteritalien).

57) Ueber die verschiedenen Zählungen s. bes. Maass, De Sibyllarum indicibus, 1879.

58) Die Worte des Pausanias lauten (Descr. Grace. X, 12, 9): 'Enɛrgá¶n δὲ καὶ ὕστερον τῆς Δημούς [es lebte aber später als die Demo] παρὰ Ἑβραίοις τοῖς ὑπὲρ τῆς Παλαιστίνης γυνὴ χρησμολόγος, ὄνομα δὲ αὐτῷ Σάββη. Βηρώσε σου δὲ εἶναι πατρὸς καὶ Ἐρυμάνθης μητρός φασι Σάββην· οἱ δὲ αὐτὴν Βαβυ λωνίαν, ἕτεροι δὲ Σίβυλλαν καλοῦσιν Αἰγυπτίαν. Da von den uns bekannten griechischen Autoren Alexander Polyhistor der erste ist, welcher die jüdische Sibylle citirt (s. unten), so darf man vielleicht annehmen, dass Pausanias seine Angaben aus Alexander geschöpft hat (s. Maass S. 12—22). Aus einer ähnlichen Quelle stammen auch die Angaben über die außnon bei Suidas Lex. 8. ν. Σίβυλλα (Σίβυλλα Χαλδαία ἡ καὶ πρὸς τινῶν Ἑβραία ὀνομαζομένη, ἡ καὶ Περσίς, ἡ κυρίῳ ὀνόματι καλουμένη Σαμβήθη κ. τ. λ.), und in den mit Suidas verwandten anonymen Katalogen, welche die auß erwähnen (Maass, De Sibyll, indic. p. 38, 42, 44). Die Bezeichnung der Sibylle als einer Tochter des Berosus findet sich auch bei Pseudo-Justin Cohort, ad Graec. c. 37. Die jüdische Sibylle selbst identificirt sich mit der erythräischen, sagt aber, dass sie aus Babylon gekommen sei (Sib. III, 808 ff.). Clemens Alex. Protrept. VI, 70-71 nennt sie die nooits Eßqalov. Vgl. überhaupt: Alexandre

II, 82-87.

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59) Varro bei Lactantius, Div. Instit, 1, 6: primam fuisse de Persis .. secundam Libycam tertiam Delphida quartam Cimmeriam in Italia quintam Erythraeam sextam Samiam septimam Cumanam.. octavam Hellesponticam in agro Troiano natam vico Marmesso circa oppidum Gergitium

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Schriftliche Aufzeichnungen angeblicher Sibyllen-Orakel waren da und dort in Umlauf. Was uns aber davon durch gelegentliche Anführungen bei Schriftstellern wie Plutarch, Pausanias u. A. erhalten ist, ist kurz und dürftig und gewährt keine deutliche Vorstellung 60). In Kleinasien und Griechenland haben sich diese Stücke nur im Privatbesitz umhergetrieben ohne staatliche Aufsicht und officielle Benützung. Ihr Ansehen und ihren Einfluss wird man darum doch nicht gering anzuschlagen haben 61). Noch ganz andere Bedeutung haben sie bekanntlich in Rom erlangt, wohin sie aus Kleinasien auf dem Weg über Kumä gekommen sind 62). Aus Kumä soll der König Tarquinius Superbus eine Sammlung sibyllinischer Orakel erworben haben, welche im Tempel des kapitolinischen Jupiter aufbewahrt wurden 63). Nachdem dieselben durch den Brand des Capitols im J. 83 vor Chr. untergegangen waren, schickte der Senat im J. 76 vor Chr. auf Anregung des Consuls C. Curio eine Gesandtschaft nach Kleinasien, welche in Erythrä und an anderen Orten wieder eine Sammlung von etwa tausend Versen zusammenbrachte, die abermals auf dem Capitol deponirt wurde 64). Die Sammlung wurde später gelegentlich vermehrt und gesichtet, und existirte noch bis in's vierte Jahrhundert nach Chr. Ausser der officiellen Sammlung cursirten auch im Privatbesitz sibyllinische Verse, die aber wegen des Missbrauchs, der damit getrieben wurde, von der Behörde öfters confiscirt und vernichtet wurden. Die officielle Sammlung wurde geheim gehalten und nur in wichtigen Angelegenheiten zu Rathe gezogen, hauptsächlich um zu ermitteln, welche Sühnungen beim Eintritt öffentlicher Unglücksfälle erforderlich seien.

Diese Sibyllistik war nun ihrem Wesen nach ganz dazu geeignet, im Interesse religiöser Propaganda ausgebeutet zu werden. Die Orakel, apokryphen Ursprungs und im Privatbesitz ohne Controle

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nonam Phrygiam decimam Tiburtem. Andere Zählungen s. z. B. bei Clemens Alex. Strom. I, 21, 108 u. 132; Suidas Lex. s. v. Zißvλλα u. A.

60) S. die Zusammenstellung in Alexandre's erster Ausgabe der Orac. Sibyll. Bd. II (1856) S. 118-129. Einiges schon bei Opsopöus in seiner Ausg. der Orac. Sibyll. p. 414 sqq.

61) S. über die sibyllinischen Orakel bei den Griechen: Alexandre a. a. O. II, 102–147.

62) S. über die sibyllinischen Orakel bei den Römern: Opsopöus in seiner Ausg. S. 462-496. Fabricius-Harles, Biblioth. graec. I, 248–257.

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Alexandre in seiner ersten Ausgabe II, 148–253. mische Staatsverwaltung Bd. III (1878) S. 336 ff. at Rome (New York 1876) p. 395-459.

63) Dionys. Halicarn. IV, 62.

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Marquardt, RöHuidekoper, Judaism

64) Lactant. I, 6, 14 (vgl. I, 6, 11). Tacit. Annal. VI, 12. Dionys. Halic.

IV, 62.

cursirend, konnten nach Belieben ergänzt und vermehrt werden. Was in dieser Hinsicht von griechischen Händen geschah, konnte. ebensogut auch von jüdischen unternommen werden. Dabei genossen die Orakel wie alles Geheimnissvolle bei religiös gestimmten Gemüthern eines hohen Ansehens. Man durfte also hoffen, unter dieser Form in weiten Kreisen Eingang zu finden. So war es ein glücklicher Griff, dass die jüdische Propaganda sich dieser Form bemächtigte, um sie für ihre Zwecke zu verwerthen. So viel wir noch constatiren können, ist zuerst im zweiten Jahrhundert vor Chr. von Alexandria aus ein grösseres Sibyllenorakel jüdischen Ursprungs in Umlauf gesetzt worden. Der Erfolg scheint günstig gewesen zu sein; denn es fanden sich bald Nachahmer, zunächst unter den Juden, später auch unter den Christen. Denn die Christen waren auch in dieser Hinsicht die gelehrigen Schüler des hellenistischen Judenthums. Sie haben nicht nur die jüdischen Sibyllenorakel gerne benützt und hochgeschätzt, sondern auch selbst das Vorhandene reichlich vermehrt. Bis in die spätere Kaiserzeit geht die Production auf diesem Gebiete fort; und wir verdanken eben der Ueberlieferung der christlichen Kirche auch den Besitz der älteren jüdischen Sibyllenorakel.

Die erste Ausgabe der uns erhaltenen jüdisch-christlichen Sibyllinen, welche Xystus Betulejus nach einer Augsburger, jetzt Münchener Handschrift veranstaltete (Basel 1545), umfasste acht Bücher. Denselben Bestand weisen auch die späteren Ausgaben auf bis einschliesslich zu dem Druck in Gallandi's Bibliotheca patrum (Bd. I, Venedig 1788). Erst Angelo Mai hat nach einer Mailänder Handschrift ein vierzehntes Buch herausgegeben (1817), und später nach zwei vaticanischen Handschriften Buch elf bis vierzehn (1828). In den neueren Ausgaben von Alexandre (erste Ausg. in 2 Bdn. 1841-1856, zweite Ausg. in 1 Bd. 1869) und Friedlieb (1852) ist Alles vereinigt.

Die Form dieser jüdisch-christlichen Sibyllenorakel ist dieselbe wie die der alten heidnischen. In griechischen Hexametern, in der Sprache Homer's lassen die jüdischen, beziehungsw. christlichen Verfasser die alte Sibylle zu den heidnischen Völkern reden. Der Inhalt dient durchweg den Zwecken der religiösen Propaganda. Die Sibylle weissagt die Geschicke der Welt von Anbeginn bis zur jeweiligen Zeit des Verfassers, um daran dann Drohungen und Verheissungen für die nächste Zukunft zu knüpfen; sie hält in strafenden Worten den heidnischen Völkern die Sünde ihres Götzendienstes und ihrer Lasterhaftigkeit vor und ermahnt sie, Busse zu thun, so lange es noch Zeit ist; denn über die Unbussfertigen werden furchtbare Strafgerichte hereinbrechen.

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