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sind aus der Neuen Heloise des Rousseau entlehnt. Ich wünschte, daß Hr. Heufeld, ehe er zu Werke geschritten, die Beurtheilung dieses Romans in den Briefen, die neueste Literatur betreffend, i gelesen und stuèirt hätte. Er würde mit einer sicherern Einsicht in die Schönheiten seines Originals gearbeitet haben, und vielleicht in vielen Stücken glücklicher gewesen seyn.

Der Werth der Neuen Heloise ist, vou der Seite der Erfindung, sehr gering, und das Beste darin ganz und gar keiner dramatischen Bearbeitung fähig. Die Situationen sind alltäglich oder unnatürlich, und die wenig guten so weit von einander entfernt, daß sie sich, ohne Gewaltsamkeit, in den engen Raum eines Schauspiels von drei Aufzügen nicht zwingen lassen. Die Geschichte konnte sich auf der Bühne unmöglich so schließen, wie sie sich in dem Nomane nicht sowohl schließt, als verliert. Der Liebhaber der Julie mußte hier glücklich werden, und Hr. Heufeld läßt ihn glücklich werden. Er bekommt seine Schülerin. Aber hat Hr. Heufeld auch überlegt, daß seine Julie nun gar nicht mehr die Julie des Rousseau ist? Doch Julie des Rousseau, oder nicht: wem liegt daran? Wenn sie nur sonst eine Person ist, die interessirt. Aber eben das ist sie nicht; sie ist nichts, als eine kleine verliebte Närrin, die manchmal artig genug schwagt, wenn sich Fr. Heufeld auf eine schöne Stelle im Rousseau besinnt. Julie, sagt der Kunstrichter, dessen Urtheils ich erwähnt habe, spielt in der Geschichte eine zweifache Nolle. Sie ist Anfangs ein schwaches und sogar etwas verführerisches Mädchen, und wird zulezt ein Frauenzimmer, das, als ein Muster der Tugend, alle, die man jemals erdichtet hat, weit übertrifft." Dieses leştere wird sie durch ihren Gehorsam, durch die Aufopferung ihrer Liebe, durch die Gewalt, die sie über ihr Herz gewinnt. Wenn nun aber von allen diesen in dem Stücke nichts zu hören und zu sehen ist: was bleibt von ihr übrig, als, wie gesagt, das schwache ver: führerische Mädchen, das Tugend und Weisheit auf der Zunge, und Thorheit, im Herzen hat?

Den St. Preux des Rousseau hat. Hr. Heufeld in einen Sieg mund umgetauft. Der Name Siegmund schmeckt bei uns ziemlich Theil X. S. 255 u. f. (Von M. Mendelssohn.)

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nach dem Domestiquen. Ich wünschte, daß unsere dramatischen Dichter auch in solchen Kleinigkeiten ein wenig gesuchter, und auf den Ton der großen Welt aufmerksamer seyn wollten. St. Breux spielt schon bei dem Rousseau eine sehr abgeschmackte Figur. „Sie neunen ihn alle, sagt der angeführte Kunstrichter, den Philofophen. Den Philosophen! Ich möchte wissen, was der junge Mensch in der ganzen Geschichte spricht oder thut, dadurch er diesen Namen verdient? In meinen Augen ist er der albernste Mensch von der Welt, der in allgemeinen Ausrufungen Vernunft und Weisheit bis in den Himmel erhebt, und nicht den geringsten Funken davon besigt. In seiner Liebe ist er abenteuerlich, schwülstig, ausgelassen, und in seinem übrigen Thun und Lassen sindet sich nicht die geringste Spur von Ueberlegung. Er setzt das stolzeste Zutrauen in feiné Vernunft, und ist dennoch nicht entschlossen genug, den kleinsten Schritt zu thun, ohne von seiner Schülerin, oder von seinem Freunde an der Hand geführt zu werden.“ Aber wie tief ist der deutsche Siegmund noch unter diesem St. Preux!

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Neuntes Stück.

Den 20. Mai 1767..

In dem Romane hat St. Preux doch noch dann und wann Gelegenheit, seinen aufgeklärten Verstand zu zeigen, und die thätige Rolle des rechtschaffenen Mannes zu spielen. Aber Siegmund in der Komödie ist weiter nichts, als ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus seiner Schwachheit eine Tugend macht, und sich sehr be leidigt findet, daß man seinem zärtlichen Herzchen nicht durchgängig will Gerechtigkeit widerfahren lassen. Seine ganze Wirksamkeit läuft auf ein Paar mächtige Thorheiten heraus. Das Bürschchen will sich schlagen und erstechen.

Der Verfasser hat es selbst empfunden, daß sein Siegmund nicht in genugsamer Handlung erscheint; aber er glaubt, diesem Einwurfe dadurch vorzubeugen, wenn er zu erwägen giebt: „daß ein Mensch seines gleichen, in einer Zeit von vier und zwanzig Stunden, nicht wie ein König, dem alle Augenblicke Gelegenheiten dazu darbieten,

große Handlungen verrichten könne. Man müsse zum voraus annehmen, daß er ein rechtschaffener Mann sey, wie er beschrieben werde; und genug, daß Julie, ihre Mutter, Clarisse, Eduard, lauter rechtschaffene Leute, ihn dafür erkannt hätten."..

Es ist recht wohl gehandelt, wenn man im gemeinen Leben in den Charakter anderer kein beleidigendes Mißtrauen sezt; wenn man dem Zeugnisse, das sich ehrliche Leute unter einander ertheilen, allen Glauben beimißt. Aber darf uns der dramatische Dichter mit dieser Regel der Billigkeit abspeisen? Gewiß nicht; ob er sich schon sein Geschäft dadurch sehr leicht machen könnte. Wir wollen es auf der Bühne sehen, wer die Menschen sind, und können es nur aus ihren Thaten sehen. Das Gute, das wir ihnen, bloß auf anderer Wort, zutrauen sollen, kann uns unmöglich für sie interessiren; es läßt uns völlig gleichgültig, und wenn wir nie die geringste eigene Erfahrung davon erhalten, so hat es sogar eine üble Rückwirkung auf diejenigen, auf deren Tren und Glauben wir es einzig und allein annehmen follen. Weit gefehlt also, daß wir deßwegen, weil Julie, ihre Mutter, Clarisse, Eduard, den Siegmund für den vortrefflichsten, vollkommensten jungen Menschen erklären, ihn auch dafür zu erkennen bereit seyn sollten: so fangen wir vielmehr an, in die Einsicht aller dieser Personen ein Mißtrauen zu seßen, wenn wir nie mit unsern eigenen Augen etwas sehen, was ihre günstige Meinung rechtfertigt. Es ist wahr, in vierundzwanzig Stunden kann eine Privatperson nicht viel große Handlungen verrichten. Aber wer verlangt denn große? Auch in den kleinsten kann sich der Charakter schildern; und nur die, welche das meiste Licht auf ihn werfen, sind, nach der poetischen Schäßung, die größten. Wie traf es sich denn indéß, daß vier und zwanzig Stunden Zeit genug waren, dem Siegmund zu den zwei äußersten Narrheiten Gelegenheit zu schaffen, die einem Menschen in seinen Umständen nur immer einfallen können? Die Gelegenheiten sind auch darnach; könnte der Verfasser antworten: doch das wird er wohl nicht. Sie möchten aber noch so natürlich herbeigeführt, noch so fein behandelt seyn: so würden darum die Narrheiten selbst, die wir ihn zu begehen im Begriffe sehen, ihre üble Wirkung auf unsere Idee von dem jungen stürmischen Schein

weisen nicht verlieren. Daß er schlecht handle, sehen wir: daß er gut handeln könne, hören wir nur, und nicht einmal in Beispielen, sondern in den allgemeinsten schwankendsten Ausdrücken.

Die Härte, mit der Julien von ihrem Vater begegnet wird, da sie einen andern von ihm zum Gemahle nehmen soll, als den ihr Herz gewählt hatte, wird beim Rousseau nur kaum berührt. Hr. Heufeld hatte den Muth, uns eine ganze Scene davon zu zeigen. Ich liebe es wenn ein junger Dichter etwas wagt. Er läßt den Vater die Tochter zu Boden stoßen. Ich war um die Ausführung dieser Aktion besorgt. Aber vergebens; unsere Schauspieler hatten sie so wohl concertirt; es ward, von Seiten des Vaters und der Tochter, so viel Anstand dabei beobachtet, und dieser Anstand that der Wahr: heit so wenig Abbruch, daß ich mir gestehen mußte, diesen Akteurs könne man so etwas anvertrauen, oder keinen. Herr Heufeld ver langt, daß, wenn Julie von ihrer Mutter aufgehoben wird, sich in ihrem Gesichte Blut zeigen soll. Es kann ihm lieb seyn, daß dieses unterlassen worden. Die Pantomime muß nie bis zu dem. Eckelhaften getrieben werden. Gut, wenn in solchen Fällen die erhizte Einbildungskraft Blut zu sehen glaubt; aber das Auge muß es nicht wirklich sehen.

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Die darauf folgende Scene ist die hervorragendste des ganzen Stückes. Sie gehört dem Rousseau. Ich weiß selbst nicht, welcher Unwille sich in die Empfindung des Pathetischen mischt, wenn wir einen Vater feine Tochter fußfällig um etwas bitten sehen. Es beleidigt, es tränkt uns, denjenigen so erniedrigt zu erblicken, dem die Natur so heilige Rechte übertragen hat. Dem Rousseau muß man diesen außerordentlichen Hebel verzeihen; die Masse ist zu groß, die er in Bewegung sezen soll. Da keine Gründe bei Julien anschlagen wollen; da ihr Herz in der Verfassung ist, daß es sich durch die äußerste Strenge in seinem Entschlusse nur noch mehr befestigen würde: so konnte sie nur durch die plögliche lieberraschung der unerwartetsten Begegnung erschüttert, und in einer Art von Betäubung umgelenkt werden. Die Geliebte sollte sich in die Tochter, verführerische Zärtlichkeit in blinden Gehorsam verwandeln; da Rousseau kein Mittel sah, der Natur diese Veränderung abzugewinnen, so

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mußte er sich entschließen, ihr sie abzunöthigen, oder, wenn man will, abzustehlen. Auf keine andere Weise konnten wir es Julien in der Folge vergeben, daß sie den inbrünstigsten Liebhaber dem tältesten Ehemanne aufgeopfert habe. Aber da diese Aufopferung in der Komödie nicht erfolgt; da es nicht die Tochter, sondern der Vater ist, der endlich nachgiebt: hätte Herr Heufeld die Wendung nicht ein wenig lindern sollen, durch die Rousseau bloß das Befremdliche jener Aufopferung rechtfertigen, und das Ungewöhnliche der selben vor dem Vorwurfe des Unnatürlichen in Sicherheit spen wollte? Doch Kritik, und kein Ende! Wenn Herr Heufeld das gethan hätte, so würden wir um eine Scene gekommen seyn, die, wenn sie schon nicht so recht in das Ganze passen will, doch sehr kräftig ist; er würde uns ein hohes Licht in seiner Copie vermalt haben, pon dem man zwar nicht eigentlich weiß, wo es herkömmt, das aber eine treffliche Wirkung thut. Die Art, mit der Herr Edhof diese Scene ausführte, die Aktion, mit der er einen Theil der grauen Haare vors Auge brachte, bei welchen er die Tochter beschwor, wären es allein werth gewesen, eine kleine Unschidlichkeit zu begehen, die vielleicht niemanden, als dem kalten Kunstrichter, bei Bergliederung des Planes, merllich wird.

Das Nachspiel dieses Abends war, der Schap; die Nachahmung des Plautinischen Trinummus, in welcher der Verfasser alle die komischen Scenen seines Originals in einen Aufzug zu concentriren gesucht hat. Er ward sehr wohl gespielt. Die Alteurs alle wußten ihre Rollen mit der Fertigkeit, die zu dem Niedrigkomischen so nothwendig erfordert wird. Wenn ein halbschieriger Einfall, eine Unbesonnenheit, ein Wortspiel, langsam und stotternd vorgebracht wird; wenn sich die Personen auf Armseligkeiten, die weiter nichts als den Mund in Falten sezen sollen, noch erst viel besinnen: so ist die Langeweile unvermeidlich. Poffen müssen Schlag auf Schlag gesagt wer den, und der Zuhörer muß keinen Augenblick Zeit haben, zu untersuchen, wie wißig oder unwißig sie sind. Es sind keine Frauenzimmer in diesem Stücke; das einzige, welches noch anzubringen gewesen wäre, würde eine frostige Liebhaberin seyn; und freilich lieber keines, als so eines. Sonst möchte ich es niemanden rathen, sich dieser Bessing, Werte. VI.

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