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sen Zeiten nicht auch das Schicksal der gepriesenen Werke Platons gewesen? Man bewunderte sie, ohne sie zu lesen; man wiederholte mit gläubigem Herzen die Lobsprüche, die die Alten ihnen gegeben hatten, ohne selbst zu forschen, warum sie solche verdienten; man bewachte die glücklich geretteten Schätze, aber man gebrauchte sie nicht; oder, wenn man dieses that, so geschah es oft so, dass es vielleicht besser gewesen wäre, sie ungebraucht ruhen zu lassen. Verschiedne Kompilationen über die Geschichte der griechischen Philosophie sind allein hinreichend, dieses hart scheinende Urtheil zu rechtfertigen.

Die gegenwärtige Ausgabe des Symposion, die ich mit mehr als gewöhnlicher Autorfurchtsamkeit dem Publikum vorlege, enthält einen Versuch einer etwas vollständigern Bearbeitung des Platon. Ich hatte mir vorgesetzt, wenn anders die Aufnahme dieser ersten Arbeit nicht ganz ungünstig ausfiele, und anderweitige Umstände mein Vorhaben unterstützten, nach ungefähr ebendiesem Plan mehrere von den kleinern Dialogen, und ins künftige einmal die grössere Schrift über die Gesetze, die wahrscheinlich das letzte Opfer war, das Platon im höhern Alter seiner philosophischen Muse brachte, herauszugeben. Für jetzt wählte ich vorzüglich das Gastmahl, theils weil es unter die berühmtesten oder soll ich sagen, berufensten? - Schriften seines Verfassers gehört, theils weil ich es der blühenden Schreibart und seiner übrigen innern Annehmlichkeiten wegen am geschicktesten hielt, in jungen Lesern den Trieb zum Studium des Platon zu wecken und zu unterhalten. Denn vornämlich der Jüngling war hier durchgehends mein Hauptaugenmerk, und nach dessen Bedürfnissen suchte ich Plan und Ausführung einzurichten. Es ergiebt sich ohne mein Erinnern, dass, wenn von einem griechischen Philosophen die Rede ist, sich nicht an Leser denken lasse, die noch Anfänger im Griechischen überhaupt sind. Für solche könnte man den Platon in Noten ersäufen, und sie fänden doch noch nicht Nahrung genug. Doch diess ist auch der Schriftsteller nicht, den ein vernünftiger Lehrer seinen Schülern, bevor sie über die ersten Sprachschwierigkeiten hinaus sind, erklären oder zu lesen empfehlen wird. Haben sie aber sich erst mit leichtern und historischen Scribenten beschäftigt, so kann ihnen die Lesung einer guten Anzahl von Dialogen beides für Kopf und Herz vortreffliche Dienste thun. Die angezeigte Absicht bitte ich daher bei Beurtheilung dieses Buchs nicht aus dem Gesichte zu verlieren: widrigenfalls möchte man in wesentlichen Stücken Veranlassung zum Tadel finden, der in anderer Betrachtung nur allzugerecht scheinen könnte. Insonderheit die Umständlich

keit in den Anmerkungen kann, wie der Herausgeber selbst glaubt, nur mit dieser Absicht gerechtfertigt oder entschuldigt werden.

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Was die Hülfsmittel anlangt, die ich bei meiner Arbeit zu Rathe ziehen konnte, so darf ich gelehrten Lesern nicht erst sagen, wie klein und unbedeutend die Anzahl derselben ist. Möchten ihrer aber immerhin weniger seyn, wenn sie das, was ihnen an Menge abgeht, an Güte ersetzen. Doch den kritischen Werth der ältern Editionen kennt man hinlänglich durch Herrn Fischers Bemühungen, der in seinen Ausgaben die Varianten daraus ausgezeichnet und mit Urtheilen begleitet hat*). Ebendiess that er auch am Symposion, welches er A. 1776 mit dem Philebus zugleich herausgab; und es wäre Undankbarkeit, wenn ich nicht gestehen wollte, dass mir hiedurch ein Theil meiner Arbeit erleichtert wurde. Dass er sich die Mühe gab, alle und jede Verschiedenheiten der Lesart, auch die handgreiflichsten Druckfehler, auf sorgfältigste zu sammeln und unter den Text zu setzen, kann man ihm nach meinem Bedünken nicht so ganz verargen. Denn nun sind wir im Stande, über den Werth der Ausgaben ein bestimmtes Urtheil zu fällen, und wissen in jedem Fall, wie viel Hülfe man sich von da her zu versprechen hat. Diess kann aber nicht geschehen, wenn Handschriften oder alte Ausgaben nur gelegentlich und bei einzelnen dunkel oder fehlerhaft scheinenden Stellen nachgesehen und verglichen werden. Ueberdem war ja die Kritik des Textes nach Hrn. Fischers Absicht die Hauptsache, und meistens nur in Beziehung hierauf brachte er Erläuterungen seines Schriftstellers bei. Ob seine Animadversionen zum Platon, zumal die beim gegenwärtigen Dialog, so ausgearbeitet sind, als womit er einige andere Autoren versehen hat, überlasse ich Andern zu beurtheilen. Meinem Zweck waren nur hin und wieder einige angemessen, und diese nahm ich mir die Freiheit, unter die übrigen mit einzurücken. Wenn ich hiebei seinen Meinungen und Erklärungsarten nicht immer Beifall gab, so kann ein Mann von Hrn. Fischers strenger Unpartheiligkeit das weder für Tadelsucht noch Eigendünkel ansehen, was blos eine Folge von dem Gesetz war, das ich mir machte, die Gründe der einen und der andern Meinung jedesmal genau gegen einander abzuwägen. Diese Freiheit, die jeder Herausgeber der Alten, jeder Schriftsteller überhaupt hat, wird er mir um so eher einräumen, da es vielmehr Pflicht als Freiheit ist, und ich hierin nach eben der Vorschrift verfuhr

*) S. zugleich dessen Vorr. zu den vier ersten Gesprächen. Leipz. 1770.

die er selbst in der Vorrede zu seiner Ausgabe giebt: ut adulescentes in primis docerem cautos esse atque diligentes, ut moveri se temere ne paterentur nec summorum hominum auctoritate, immo omnia ipsi investigare studiose instituerent.

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Wo man nicht Alles im Ueberfluss besitzt, darf man nichts mit stolzer Miene wegwerfen. Daher sind für einen Erklärer des Platon nach den alten Ausgaben auch die Uebersetzungen, am meisten die ältesten lateinischen, von gutem Nutzen. Von diesem erlaube man mir hier kürzlich etwas zu sagen. Die erste, die lange vor der Aldischen Ausgabe des griechischen Textes ans Licht trat*), ist von Marsiglio Ficino mit einer dem Leser eben so beschwerlichen als dem Kritiker nützlichen Treue gemacht. Damals sammelte sich nach dem Umsturz des griechischen Kaiserthums, in Italien unter dem Schutz des Hauses der Medicis ein Häuflein von den neuesten Platonikern, unter welchen dieser Ficin einer der angesehensten und gelehrtesten war. Die Natur schien ihn zu einem vollkommnen Mystiker gebildet zu haben. Hievon giebt auch der sogenannte Kommentar über das Gastmahl einen Beweis, der seine Entstehung einer von den Platonischen Zusammenkünften zu danken hatte, die auf Ficins Landhause (Caregio) besonders am Geburts- und SterbeTage Platons gehalten wurden, und woran die Mediceer selbst Antheil nahmen. Er suchte, wie er sich in der Zueignungsschrift seiner Version ausdrückt, im Platon allenthalben arcana coelestia; und da er sie in seinem Kopfe mitbrachte, so konnte es ihm nicht sauer werden, etwas zu finden, was freilich jedem andern Christen verborgen bleiben muss. Wer hievon überzeugt seyn will, lese nur seine Argumente vor den Dialogen, in denen die fasslichste Sittenlehre in den lichtvollsten Vortrag eingekleidet ist. Doch jetzt haben wir es nur mit seiner Uebersetzung zu thun. Sie ist, wie bekannt, aus Handschriften verfertigt, und desswegen_von Mehrern bereits mit Vortheil zur Verbesserung oder Festsetzung der Lesarten gebraucht. Jedoch muss diess, beiläufig zu erinnern, immer mit einer gewissen Vorsicht geschehen, wenn man nicht den kritischen Misstrauischen machen, und durch jede kleine Abweichung von unsern gedruckten

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*) 1482 zu Florenz, in Fol. Sie ist nachher sehr oft wieder aufgelegt worden, und auch in Ficins Werke (Basel, 1561. 2 Fol.) eingedruckt. Fälschlich hält Fabriz in der griechischen Bibliothek, mit allen die ihn abgeschrieben haben, einen Druck von 1491. Venedig, Fol, für den ersten. Diess ist entweder schon die zweite, oder gar die dritte Ausgabe. Die Geschichte der Ficinschen Version s. in Schelhorus Amoenit. lit. T. I. p. 89.

Büchern auf den Verdacht gerathen will, als habe Ficin anders gelesen. Beispiele von diesem Argwohn kommen auch bei unserm Dialog nicht selten vor.

Späterhin übersetzte der berühmte Arzt und grosse Liebhaber der Griechen, Janus Kornar, die Werke unseres Philosophen ins Latein. Doch ist seine Version, ungeachtet sie manche Vorzüge vor der des Ficin hat, nicht in so allgemeinen Ruf gekommen, als diese. Zuerst gab er das Gastmahl in der Schrift: De conviviis veterum Graecorum. Basel, 1548. 8. heraus, und nach seinem Tode edirte sein Sohn die Uebersetzung der gesammten Werke, ebendas. 1561, Fol. Auch er hatte neben den drei ältesten Ausgaben eine Handschrift, die aber, so viel sich aus gewissen Datis errathen lässt, nicht alle Dialogen in sich enthielt. Aus dieser theilt er in den bei jeder Tetralogie angehängten kurzen Anmerkungen abweichende Lesarten mit, und sucht zugleich manche Stellen aus eigenen Mitteln zu verbessern. Diess sind die Eclogae in Dialogos Platonis, die Hr. Fischer Leipz. 1771. gr. 8. besonders wieder abdrucken liess. Seite 45. stehen die zum Symposion gehörenden Bemerkungen, worunter aber wenige von grossem kritischen Scharfsinn zeugen.

Von minderer Brauchbarkeit zur Kritik ist die Uebersetzung des de Serres (Serranus), die der Stephanschen Edition des Textes beigedruckt ist. Man könnte sie, wie jene des Tacitus von d'Ablancourt, eine Belle infidelle nennen: so sehr entfernt sie sich bei einem sonst ziemlich lateinischen Ausdruck hin und wieder von dem wahren Sinn des Originals, und ist von mehrern Seiten die völlige Antipode der Ficinschen. Brauchbarer sind für den Leser seine kurzen Randscholien, worin er die oft verwickelte Disposition des Schriftstellers einigermassen aus einander setzt.

Im folgenden Säk. erhielten auch die Italiener den ganzen Platon übersetzt: Opere di Platone, tradotte da Dardi ·Bembo, Gentiluomo Veneziano. Cogli Argomenti, e Note del Serano. Venezia, 1601. 3 Duodezb. und wiederum aufgelegt in 4. ebend., die ersten zwei Bände 1742., und der dritte 1743, Den ersten beschliesst das Gastmahl. Nur bei einigen Stellen habe ich diese Uebersetzung nachgesehen. Aus dem Griechischen ist sie, wie man bald gewahr wird, gemacht, nur ein wenig steif; zuweilen ist auch der Gedanke ganz verfehlt, und über die attische Süssigkeit und die andern Feinheiten des Dialogs ist der Gentiluomo eben nicht bekümmert.

Etwas schöneres, und worin man das Original mit seiner eigenthümlichen Grazie grösstentheils wieder findet, dabei leicht und fliessend, ist das Eingangsstück des Sympo

sion, französisch von Jean Racine. Eine gewisse Madame de Rochechouart, selbst eine feine Kennerin des Griechischen, hatte sich diese Arbeit von ihm ausgebeten. Er übersetzte aber nur die elf ersten Kapitel, und sie setzte nachgehends das Angefangene bis zum Schluss des 29sten eben so glücklich fort*). Racine's Anfang der Uebersetzung steht in Oeuvres de Jean Racine, avec des Commentaires, par M. Luneau de Boisjermain. Paris, 1768. 8. am Ende des 5. B., und ist nebst der Fortsetzung der gelehrten Frau eingerückt in Bibliotheque des anciens Philosophes. Paris, 1771. 8. T. 5. p. 519.

Doch mehr als alle seine Vorgänger leistete Floyer Sydenham in seiner englischen Uebersetzung des Symposion, wo zugleich eine grosse Anzahl Anmerkungen theils zur Kritik der Lesarten, theils auch zur Erläuterung der Sachen beigebracht sind. Schon im J. 1759. machte dieser Mann, den eine nicht alltägliche Kenntniss des Griechischen, Belesenheit in seinem Autor und andern damit verwandten Schriften, und, so viel ein Deutscher urtheilen kann, eine leichte Fertigkeit und Gewalt über die Sprache, in die er übersetzt, vor vielen seiner Amtsgenossen auszeichnen, mit dem Jon den Anfang zu einer vollständigen Uebersetzung der sämmtlichen Werke Platons. Er kündigte nachmals auch eine neue kritische Ausgabe derselben an, und wollte vors erste zu einer verläufigen Probe eben dieses Gastmahl bearbeiten. Allein, so viel mir bekannt worden, haben seine Landsleute diese glänzenden Ankündigungen keiner sonderlichen Aufmerksamkeit und Unterstützung gewürdigt. Denn ausser dem Jon, dem grössern Hippias und dem Gastmahl, die vorhin einzeln auf Subscription gedruckt waren, und zusammen in einem Imperialquartbande 1767. zu London unter dem allgemeinen Titel: Dialogues of Plato. Volume I. erschienen, ist - wenigstens haben Verschiedene es mir versichert weder eine Fortsetzung dieser Arbeit, noch eine Ausgabe des Textes von irgend einem Dialogen herausgekommen. Eine kurze Anzeige dieses Werks findet sich in der neuen Biblioth. der schönen W. u. K. B. 6. St. I. S. 161. Vor kurzem las ich irgendwo von eben dem Sydenham angeführt: Dialogues of Plato. Two Volumes in 4to. London, printed for the Author, 1773. Ist diese

*) Die Nachrichten, die Sydenham, von dem ich sogleich reden werde, von dieser Uebersetzung giebt, sind unrichtig. Er spricht immer von einer Marquisin de Grave als Uebersetzerin, und glaubt, von ihr seyen die fünf ersten Reden, von Racine aber die Rede des Sokrates.

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