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Lebhaft gesprächig umarmten darauf Dorotheen die Weiber.
Hermann zog sie hinweg; noch viele Grüße befahl sie.

Aber da fielen die Kinder, mit Schrein und entseßlichem Weinen,
Ihr in die Kleider und wollten die zweite Mutter nicht lassen.
Aber Ein' und die Andre der Weiber sagte gebietend:

Stille, Kinder! Sie geht in die Stadt und bringt Euch des guten
Zuckerbrodes genug, das Euch der Bruder bestellte,
Als der Storch ihn jüngst beim Zuckerbäcker vorbeitrug,
und Ihr sehet sie bald mit den schön vergoldeten Deuten."
Und so ließen die Kinder sie los, und Hermann entriß sie
Noch den Umarmungen kaum und den ferne winkenden Tüchern.

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VIII. Melpomene.

Hermann und Dorothea.

Also gingen die Zwei entgegen der sinkenden Sonne, Die in Wolken sich tief, gewitterdrohend, verhüllte, Aus dem Schleier, bald hier, bald dort, mit glühenden Blicken Strahlend über das Feld die ahnungsvolle Beleuchtung.

5 Möge das drohende Wetter," so sagte Hermann, „nicht etwa Schloßen uns bringen und heftigen Guß; denn schön ist die Ernte."

Und sie freuten sich Beide des hohen wankenden Kornes,
Das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten, erreichte.

Und es sagte darauf das Mädchen zum leitenden Freunde :
10,,Guter, dem ich zunächst ein freundlich Schicksal verdanke,
Dach und Fach, wenn im Freien so manchem Vertriebnen der
Sturm dräut!

Saget mir jezt vor Allem, und lehret die Eltern mich kennen,
Denen ich künftig zu dienen von ganzer Seele geneigt bin;

Denn kennt Jemand den Herrn, so kann er ihm leichter genug

thun,

15 Wenn er die Dinge bedenkt, die jenem die wichtigsten scheinen, Und auf die er den Sinn, den festbestimmten, gesezt hat. Darum faget mir doch: wie gewinn' ich Vater und Mutter?“

Und es versezte dagegen der gute, verständige Jüngling : „O, wie geb' ich Dir Recht, Du gutes treffliches Mädchen,

Daß Du zuvörderst Dich nach dem Sinne der Eltern befragest! 20
Denn so strebt' ich bisher vergebens, dem Vater zu dienen,
Wenn ich der Wirthschaft mich als wie der meinigen annahm,
Früh den Acker und spät und so besorgend den Weinberg.
Meine Mutter befriedigt ich wohl, sie wußt es zu schäßen;
Und so wirst Du ihr auch das trefflichste Mädchen erscheinen,
Wenn Du das Haus besorgst, als wenn Du das Deine
bedächtest.

Aber dem Vater nicht so; denn dieser liebet den Scheir much.
Gutes Mädchen, halte mich nicht für kalt und gefühllos,
Wenn ich den Vater Dir sogleich, der Fremden, enthülle.
Ja, ich schwör' es, das erste Mal ist's, daß frei mir ein solches
Wort die Zunge verläßt, die nicht zu schwaßen gewohnt ist;
Aber Du lockst mir hervor aus der Brust ein jedes Vertrauen.
Einige Zierde verlangt der gute Vater im Leben,
Wünschet äußere Zeichen der Liebe, so wie der Verehrung,
Und er würde vielleicht vom schlechteren Diener befriedigt,
Der dies wüßte zu nußen, und würde dem besseren gram sein."

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Freudig sagte sie drauf, zugleich die schnelleren Schritte Durch den dunkelnden Pfad verdoppelnd mit leichter Bewegung: ‚Beide zusammen hoff' ich fürwahr zufrieden zu stellen;

Denn der Mutter Sinn ist wie mein eigenes Wesen,
Und der äußeren Zierde bin ich von Jugend nicht fremde.
Unsere Nachbarn, die Franken, in ihren früheren Zeiten
Hielten auf Höflichkeit viel; sie war dem Edlen und Bürger
Wie den Bauern gemein, und Jeder empfahl sie den Seinen.
Und so brachten bei uns auf deutscher Seite gewöhnlich
Auch die Kinder des Morgens mit Händeküssen und Knirchen

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Segenswünsche den Eltern und hielten sittlich den Tag aus. Alles, was ich gelernt und was ich von jung auf gewohnt bin,

Was von Herzen mir geht — ich will es dem Alten erzeigen. 50 Aber wer sagt mir nunmehr: wie soll ich Dir selber begegnen, Dir, dem einzigen Sohn, und künftig meinem Gebieter ?"

Also sprach sie, und eben gelangten sie unter den Birnbaum. Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter ; Nacht war's, völlig bedeckt das lezte Schimmern der Sonne. 55 Und so lagen vor ihnen in Massen gegen einander

Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nächte. Und es hörte die Frage, die freundliche, gern in dem Schatten Hermann, des herrlichen Baums am Orte, der ihm so lieb war, Der noch heute die Thränen um seine Vertriebne gesehen. 60 Und indem sie sich nieder, ein Wenig zu ruhen, geseßet,

Sagte der liebende Jüngling, die Hand des Mädchens ergreifend. Laß Dein Herz Dir es sagen, und folg' ihm frei nur in Allem.“ Aber er wagte kein weiteres Wort, so sehr auch die Stunde

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Günstig war; er fürchtete nur ein Nein zu ereilen,

65 Ach, und er fühlte den Ring am Finger, das schmerzliche Zeichen. Also saßen sie still und schweigend neben einander;

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Aber das Mädchen begann und sagte: „Wie find' ich des
Mondes

Herrlichen Schein so süß! Er ist der Klarheit des Tags gleich.
Seh' ich doch dort in der Stadt die Häuser deutlich und Höfe,
An dem Giebel ein Fenster; mich däucht, ich zähle die Scheiben.'.

„Was Du siehst,“ verseßte darauf der gehaltene Jüngling, „Das ist unsere Wohnung, in die ich nieder Dich führe,

Und dies Fenster dort ist meines Zimmers im Dache,

Das vielleicht das Deine nun wird; wir verändern im Hause.
Diese Felder sind unser, sie reifen zur morgenden Ernte.
Hier im Schatten wollen wir ruhn und des Mahles genießen.
Aber lass' uns nunmehr hinab durch Weinberg und Garten
Steigen; denn sieh, es rückt das schwere Gewitter herüber,
Wetterleuchtend und bald verschlingend den lieblichen Vollmond.“

Und so standen sie auf und wandelten nieder, das Feld hin, Durch das mächtige Korn, der nächtlichen Klarheit sich freuend; Und sie waren zum Weinberg gelangt und traten in's Dunkel.

Und so leitet' er sie die vielen Platten hinunter,
Die, unbehauen gelegt, als Stufen dienten im Laubgang.
Langsam schritt sie hinab, auf seinen Schultern die Hände;
Und mit schwankenden Lichtern durch's Laub überblickte der Mond
fie,

Eh' er, von Wetterwolken umhüllt, im Dunkeln das Paar ließ.
Sorglich stüßte der Starke das Mädchen, das über ihn her hing ;
Aber sie, unkundig des Steigs und der roheren Stufen,
Fehlte tretend; es knackte der Fuß, sie drohte zu fallen.
Eilig streckte gewandt der sinnige Jüngling den Arm aus,
Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis auf die Schulter.
Brust war gesenkt an Brust und Wang' an Wange. So stand er,
Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt,
Drückte nicht fester sie an, er stemmte sich gegen die Schwere.
Und so fühlt' er die herrliche Laft, die Wärme des Herzens,
Und den Balsam des Athems, an seinen Lippen verhauchet,
Trug mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes.

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