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lischen Literatur und Shakespeare's, sei es nun für grammatische, etymologische, lexikalische, metrische Fragen ein besonderes Interesse haben, sei es gerade das zu erfahren wünschen, wie einst in Wirklichkeit die bekannten und geliebten Worte des grossen Dichters gelautet haben. Allen können wir das Werk für ein genaueres Studium auf das dringendste empfehlen und ihnen einen ungemein reichen Gewinn davon versprechen. Selbst derjenige aber, der die kaum allzugrosse Mühe nicht scheut, nach unseren Mittheilungen sich eine Erkenntniss und Sicherheit der alten Aussprache zu erwerben, wird gewiss dafür belohnt werden, wenn er nur wiederholt den Versuch macht, bei eigenem Lesen Shakespeare's dies zu benutzen. Denn auf alle Fälle stand dessen Rede in der Aussprache seiner Zeit unserer deutschen, selbst der heutigen, weit näher als das jetzige Englisch, und abgesehen von manchen Folgerungen, die sich daraus vielleicht für den früheren Verkehr und den Austausch der beiden Literaturen ziehen lassen, werden die alten Laute gerade uns Deutschen vielfach verwandter klingen. Wir werden uns davon heimisch angesprochen fühlen und in erhöhetem Maasse klar und lebendig empfinden, dass der grösste Dramatiker der modernen Welt echt germanisch ist und in mehr als einem Sinne auch der unsere heissen mag.

Wie soll man Shakespeare spielen?

IV. Der Kaufmann von Venedig.

Von

H. Freih. von Friesen.

Es ist vielleicht unter allen Umständen eine bedenkliche Sache, bei den dramatischen Schöpfungen Shakespeare's nach einer Grundidee, geschweige denn nach einem Grundgedeanken zu forschen, der sich in wenigen Worten zusammenfassen liesse und von dem man mit Sicherheit behaupten könnte, dass die ganze Handlung auf ihm beruhe. So sprach sich eines Abends unser alter humoristischer Shakespeare-Freund aus, als sich die Gesellschaft nach einer Aufführung des Kaufmann von Venedig wieder versammelt hatte, und schon Vieles über den diesem Drama zu Grunde liegenden Hauptgedanken hin und wider geredet worden war.

Und warum, so rief der Eine, sollte meine Meinung so ganz verwerflich sein, dass der Gegensatz der Fülle des Besitzes gegen die Mittellosigkeit zugleich mit dem des rechten Gebrauches gegen den Missbrauch des Besitzes der eigentliche Angelpunkt sei, um welchen sich die Handlung dreht?

Mit demselben Rechte, warf ein Anderer ein. verdient meine Ansicht Geltung, dass es sich vorzugsweise um Schein und Sein handle.

Warum so viele Worte? fragte ein Dritter, die Frage ist mit dem bekannten Satze gelöst: Summum jus summa injuria.

Unser Alter fuhr lächelnd fort: Liegt denn nicht in dem Zwiespalt dieser Meinungen meine grösste Rechtfertigung? Handelte es

sich, oder sagen wir lieber, sollte es sich in der That handeln um die Ausführung eines einzelnen Axioms, so müsste doch dieses mit einer so schlagenden Klarheit vor uns liegen, dass ein Streit wie der gegenwärtige kaum denkbar wäre.

Fehlgeschossen! brach der bekannte Enthusiast lebhaft aus; muss es nicht vielmehr sein, dass ein poetisches Erzeugniss seiner innern Bedeutung nach sich in ein mystisches Dunkel hüllt, und dass deshalb gerade die Meinungen darüber nach verschiedenen Richtungen auseinandergehn?

Sie berühren hier einen Punkt, der in Bezug auf dieses Drama einer besonderen Erörterung werth scheint. So liess sich ein bisher noch nicht genanntes Mitglied unserer Gesellschaft vernehmen, das wir als den Realisten zu bezeichnen pflegten. Minder billig Denkende liebten wohl, ihn den Philister zu nennen. Ich möchte vor Allem fragen, so fuhr der Gelassene fort, ob das Phantastische oder auch das Excentrische mit dem, was uns für poetisch gelten soll, für gleichbedeutend zu halten sei? Die erste Benennung scheint mir auf die Fabel und Darstellungsweise des Dramas der,,Kaufmann von Venedig" vollständig passend, ohne dass ich für die gerechtesten Ansprüche der Poesie genügende Befriedigung fände.

Und nun? unterbrach der lebhafte Enthusiast mit der fast spöttischen Frage: Was halten Sie für die wesentlichsten Ansprüche der Poesie?

Ich könnte, fuhr der lehrsame Realist fort, mich mit einem einzigen Worte loskaufen. Ich verlange vor allem Anderen Wahrheit. Ich will damit sagen: so hoch sich auch die Phantasie erheben möge, halte ich es nicht für erlaubt, dass sie mit fesselloser Willkür der Wahrscheinlichkeit, ja selbst der realen Möglichkeit Hohn spreche. Das ist stark! warf der Enthusiast ein.

Nicht in dem Sinne, in dem Sie es zu nehmen scheinen, erwiderte Jener. Gestehn Sie doch billiger Weise ein, dass die Hauptmomente, worauf die Fabel beruht, unserer gläubigen Annahme widerstreben. Ich will nicht von dem fabelhaften Reichthum Antonios reden, den Shakespeare schon einen königlichen Kaufmann genannt hat, nicht von dem noch fabelhafteren Besitzstand Portia's. Ist denn aber die wunderliche testamentarische Bestimmung vom Vater dieser Dame hinsichtlich der Kästchen, ist der Handel Antonio's mit dem Juden um ein Pfund Fleisch im Fall der nicht geleisteten Zahlung und ist die Handlungsweise des Juden, mit dieser unsinnigen Bedingung Ernst machen zu wollen, nur irgend denkbar? In so weit scheint mir der bekannte Verfasser der realistischen Shakespeare

Studien Recht zu haben, wenn er aus dieser Undenkbarkeit den Vorwurf ableitet, dass man von vornherein nicht im Zweifel sein könne, den Juden als den geprellten Theil ansehn zu sollen.

Unser Freund, der die vermittelnde oder auch besänftigende Rolle zu übernehmen pflegte, erinnerte dagegen an den märchenhaften Charakter des ganzen Stückes. Auch Rümelin, den Sie so eben anführten, so liess er sich ferner vernehmen, erkennt diesen Charakter an und befindet sich damit in Uebereinstimmung mit Tieck und anderen Shakespeare-Kritikern.

Das ist es eben, versetzte der Realist, weshalb ich das Phantastische in diesem Drama von vorn herein zugegeben habe. Nur möchte ich neben dieser Eigenschaft das wahrhaft Poetische nicht unbedingt anerkennen. Und ich kann nicht anders urtheilen, indem ich diesen phantastischen Charakter der ganzen Fabel allen einzelnen Personen aufgedrückt sehe, ohne dass ich sie für poetisch wahr halten könnte. Der leichtsinnige Bassanio, was thut er eigentlich, um unsere Sympathie zu gewinnen? Der halbschwermüthige Antonio ist zwar mehr eine handelnde Person. Welches Motiv aber, ich meine welchen poetischen Beweggrund giebt uns der Dichter an für seine ungemessene Freundschaft zu jenem. Und doch sollen wir davon sein Gemüth im höchsten Grade erfüllt halten, da er für ihn die leichtsinnigste Schuldverschreibung ausstellt. Von anderen Personen, wie von Gratiano, Lorenzo und der schönen Jessica ist noch weniger zu sagen. Wenn uns auch das Stück lange nicht zu der Annahme von Gervinus berechtigt, dass nämlich dieses leichtsinnige Liebespaar halbausgehungert in Belmont einkehre, so ist ihnen dennoch ohne Portia's Dazwischenkunft kaum ein anderes Prognosticum zu stellen.

Nun, und die gefeierte Erbin von Belmont, die schöne Portia? so fragte der Enthusiast mit unverhehlter Ironie.

Ich gebe zu, lehrte der Realist weiter, dass diese Gestalt am meisten mit einem poetischen Duft umgeben ist. Wo aber, so möchte ich fragen, fassen wir sie, als eine Erscheinung der Realität! Was möchte aus ihr werden, wenn einer der ihr widrigen Freier das rechte Kästchen wählte? Es ist nicht zu läugnen, dass sie uns mehr als andere Personen durch ein edles Handeln gewinnt. Und doch könnten wir vor ihrem übermüthigen Leichtsinn erschrecken, als sie in dem Augenblick, wo der kaum zur Befriedigung ihres Herzens gewonnene Gemahl sie verlassen hat, um einen geliebten Freund vielleicht aus der Todesgefahr zu retten oder vor seiner letzten Stunde

noch einmal zu sehn, gegen ihre Zofe von Possen spricht, die sie in ihrer Verkleidung als junger Mann auszuführen gedenkt.

Die Bewegung der Ungeduld und Missbilligung in der Gesellschaft war unverkennbar, besonders der Enthsiast war kaum von einem leidenschaftlichen Ausbruch zurückzuhalten. Nur unser alter Humorist schien unberührt und der Sprecher fuhr unbekümmert also fort:

Und als nun diese gefeierte Schöne den Gerichtssaal betritt es ist dies überhaupt eine Scene, wie sie formell und materiell in der ganzen Welt nicht denkbar ist wer möchte in ihrem Benehmen einen gesunden Sinn entdecken? Sollen wir überhaupt glauben, dass mit der gewaltsamen Auslegung von der Bedeutung des zur Busse gesetzten Pfundes Fleisch der Rechtshandel gelöst werden dürfe, wozu dann der weite Umschweif, den sie nimmt? Konnte sie wirklich glauben, dass der Jude durch ihre Vorstellungen und Zureden anderen Sinnes werden würde? Freilich müssen wir in diesem Shylock mit seinem blutigen Grimm und Hass das Unglaubliche für glaublich hinnehmen. Wenn nun aber der Dichter einmal unserem Glauben zumuthete, sich diese Carricatur, gleichwie eine reale Erscheinung, gefallen zu lassen, so hätte er die kluge, schöne und liebenswürdige Portia nicht in dem Maasse verblendet darstellen sollen, dass sie, anstatt mit ihrer rabulistischen Auslegung sofort herauszutreten, die Handlung mit müssigem Zureden aufhält. Noch mehr! War es denn undenkbar, dass der Jude, in der verzweifelten Aussicht sein Leben zu verlieren, dem Kaufmann das Messer ins Herz stiess, wo es dann freilich um das Lustspiel gethan war? Es ist dies einer von den vielen Fällen, wo mit Recht an der vielgepriesenen Kenntniss Shakespeare's von den Bewegungen des menschlichen Herzens und den realen Verwickelungen des Weltlaufes gezweifelt werden könnte.

Hier erreichte die Unruhe der Zuhörer den höchsten Grad und es war nur mit Mühe möglich, dass sich Einzelne verständlich machen konnten. Der Enthusiast sprach von einem Sacrilegium. Denn in diesem Lichte glaubte er die realistischen Bedenken unseres Genossen, gleichwie frevelhafte Angriffe gegen die Unantastbarkeit Shakespeare's, betrachten zu dürfen. Ein Anderer meinte, auf diesem Wege könne Allem, was poetisch sei, die Berechtigung abgesprochen werden. Noch Einer wollte die Auslassungen des Realisten mehr des Mitleids als der Widerlegung werth halten; und wieder ein Anderer fragte, ob denn das Urtheil einer langen Reihe von Geschlechtern gar nichts gelten dürfe? Kein Stück Shakespeare's, so rief er, ist, vielleicht mit

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