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gabe zu finden. Gewiss muss Vieles, was Andern unbemerkt entgeht, ihm anschaulich und seinem Gedächtniss ein unveräusserliches Eigenthum geworden sein. Nur würde es fast ein unlösbares Räthsel scheinen, wodurch er befähigt worden, den jüdischen Character mit so erschöpfender Wahrheit zu zeichnen, wenn es unzweifelhaft nachgewiesen wäre, was unser Freund Elze in seinem Aufsatz über dieses Drama angiebt, dass zu Shakespeare's Zeiten keine Juden in England geduldet worden 1) und er daher nicht nach einer erlebten Anschauung habe arbeiten können. Das Alles ist aber nicht einschlagend in meine Aufstellung. Der Gegensatz Shylock's gegen alle Anderen, von dem ich reden wollte, beruht vielmehr darin, dass er sich allen Einflüssen der im ganzen Stücke herrschenden leichtblütigen Lebensanschauung verschliesst. Ich nehme auch Antonio trotz seiner Schwermuth davon nicht völlig aus. Auch er ist von diesem Einfluss nicht ganz frei, indem er seinem Handelsglücke und Wohlstande zu rücksichtslos vertraut. Hier manifestirt sich der angezogene Gegensatz sofort in den Einreden des Juden gegen diese Zuversicht. Wie er in den ihm eigenthümlichen Bildern und Metaphern über Glücks- und Unglücksfälle zu Land und zur See redet, scheint er nur die maassvolle Vorsicht und kluge Berechnung des gefahrlosen Gewinns zu kennen. Und das Schicksal scheint ihm sogar in dem momentanen Ruin Antonio's Recht zu geben. Ja, ohne eine bestimmte Voraussicht nimmt er, wie mit instinctiver Divination, seine Maassregeln zur Ausführung der langersehnten Rache.

Das ist in der Scene, unterbrach der Realist, wo ihm Tubal über seine Tochter berichtet. In dieser werden Sie doch schwerlich das absichtlich Komische läugnen wollen?

Ich getraue mir das allerdings, behauptete der Alte. Nur hören Sie erst weiter, was ich von berechnendem Scharfsinn an Shylock für meine Aufstellung wichtig finde. Es versteht sich, dass davon bei allen Andern nicht im Entferntesten die Rede sein konnte und durfte. Wir können auch nicht läugnen, dass er mit seinen scharfsinnigen Anschauungen fast durchgängig im Rechte ist. Unser schon genannter Freund Elze führt mit gutem Grunde an, dass die Abwehr des fanatischen Hasses gegen die Juden nicht leicht bündiger ausgesprochen werden könne als von ihm. Noch mehr, wir können ihm selbst darin nicht Unrecht geben, dass er dem auf ihn in den Zeichen beschimpfender Verachtung ausgeschütteten Hass einen noch grimmigeren Hass entgegenstellt. Und müssen wir darin ein nicht

1) Vergl. oben S. 66. D. Red.

ohne Schuld von jener Seite herausgefordertes Schicksal erkennen, so wüsste ich in der That nicht, wo das Komische liegen sollte. Nun aber, von jener Scene zwischen ihm und Tubal. Ich sehe anstatt des Komischen nur die furchtbarste Leidenschaft darin. Auch ist sie in psychologischer Hinsicht vollkommen richtig motivirt. Der Schlag trifft die empfindlichsten Saiten seines Wesens. Die Gier nach dem Besitz, den er nach Recht und Verdienst für wohlerworben halten kann, wird zugleich gekreuzt mit den einzigen Empfindungen, welche neben derselben in seinem Gemüth Platz finden konnten. Deshalb verwirrt auch die Leidenschaft das Eine mit dem Andern. Ich halte es nicht für richtig, wenn man ihm jedes Gefühl für die Tochter abspricht, weil er sagt, er wolle sie eingesargt sehn und die Ducaten im Sarge. Mindestens scheint es mir nicht unbedingt nothwendig, den hier gedachten Worten den Sinn unterzulegen, als sei es ihm gleichgültig, seine Tochter todt zu sehn, wenn er nur seine Schätze wieder besitze. Vielmehr ist es möglich, dass sie auch so verstanden werden: Lieber sähe ich meine Tochter todt als sie in dieser Weise zu verlieren, dann möchten auch die Juwelen in ihren Ohren und die Ducaten in ihrem Sarge mit ihr begraben werden. Wie käme er sonst dazu bei der Erwähnung des angeblich verschleuderten Turkis der verstorbenen Lea zu gedenken? Barock und bizarr sind allerdings diese Ausbrüche der Leidenschaft, seiner Natur entsprechend, aber nicht komisch. Sie dienen vielmehr in dieser Form am meisten dazu, uns zu zeigen, wie er in einer völlig anderen Atmosphäre zu athmen scheint, als Jeder der Uebrigen, welche ernst in der Heiterkeit und, mit Ausnahme des übermüthigen Graziano, gehalten und milde im Ernst der Situationen sind. Und nun ist es auch völlig natürlich, dass seine Gesinnung von der Habgier plötzlich überspringt zum heissen Durst nach Rache, eine Wandlung, in welcher er sich für berechtigt hält, die Fäden des Geschickes zu ergreifen und wodurch er der allgemeinen Strömung der Begebenheit zu seinem Verderben verfällt.

Es überrascht mich, sprach der Vermittler, dass Sie auch in Bezug auf Shylock von Gesinnungen und nicht von einem ausgeprägten Character sprechen. Dem allgemein gültigen Sprachgebrauche nach gehört doch diese Rolle recht eigentlich in die Kategorie der Characterrollen.

Das spricht am meisten für meine Anschauungsweise, antwortete Jener. Wir verstehen unter dieser Bezeichnung in der Regel die in ihrer Ausführung zumeist hervorstechenden Rollen. Wer wollte aber damit wohl den andern die Characterzeichnung absprechen?

Auch ist meistentheils das vor Anderen schärfer Heraustretende mit einem dem allgemeinen widersprechenden, oder einem abnormen Wesen verbunden, weshalb denn das Bizarre und Verletzende solchen Rollen leichter als anderen nachgesehn wird und zuweilen sogar für berechtigt gilt. Das Alles passt auf Shylock. Ist es aber darum recht, wenn der ausführende Künstler dadurch sich verführen lässt, in dem Abnormen oder Bizarren die feine Linie, welche der Dichter zur Bewahrung der Natürlichkeit inne gehalten hat, nach Gutdünken zu überschreiten? Ich habe es schon früher und, wenn ich nicht irre, wiederholt bemerkt, dass die meisten Rollen in Shakespeare'schen Stücken auf der äussersten Grenze des natürlich Wahren stehn. Von keiner gilt das mehr, als von dieser. Der Schauspieler, der nicht die Resignation kennt, in dieser Rolle, nur dem Dichter folgend, völlig aufzugehn, dem es vielleicht mehr darum zu thun ist, seinen Scharfsinn durch das gewaltsame Hervorheben aller scheinbaren Abnormitäten und Bizarrerien an den Tag zu legen, mehr zum Lehrer des Publikums sich aufzuwerfen, als ihm Genuss an dem Ganzen zu gewähren, der wird freilich vor einer verblendeten Menge auch durch eine komische Darstellung des Shylock einen momentanen Triumph erringen können. Aber auch das Pathos, welches der Tragödie ziemt, ist bei dieser Rolle vom Uebel. Aus Shylock einen Lear, Macbeth, Richard III. machen zu wollen, kann eben so zur Carricatur führen. Er ist eben so wenig dazu bestimmt, die Narrenkappe zu tragen, als auf dem Kothurn einherzuschreiten. Unter vielen Schauspielern habe ich in dieser Rolle nur Einen gesehn, der meiner Anschauung vollkommen genügte. Er ist, wie Sie leicht denken können, schon lange von uns geschieden, da er sich noch zu den Schülern von Ludwig Schröder zählen konnte. Dem Hofschauspieler Werdy in Dresden gelang es, mit ungewöhnlicher Ruhe der Meisterschaft ohne allen Beigeschmack einer scurrilen Färbung und ohne Anwendung eines unpassenden Pathos die Illusion einer lebendigen Erscheinung hervorzurufen. Er war von Anfang an der heimlich lauernde tückische Jude ohne den. Anspruch auf eine ihm nicht zukommende Würde, aber doch ernst genug, um hinter seinem äusseren Wesen etwas Furchtbares ahnen zu lassen. In der Scene mit Antonio wusste er bei der Darstellung der gefährlichen Verschreibung als einen Scherz die Mitte zu halten zwischen erkünstelter Treuherzigkeit und verborgener Hinterlist. Seine Verzweiflung über die Flucht der Tochter und den Verlust eines Theils seiner Schätze war ergreifend, und ich wüsste nicht, dass ein Schein von Komik darin gelegen hätte. In der Gerichtsscene war er

furchtbar und verfehlte nicht den erschütternden Eindruck, der, wie ich glaube, in der Absicht des Dichters liegt. Am Furchtbarsten war er, als er mit dem Gefühle eines befriedigten Grimms die Worte aussprach: Spruch war's" und wie ein nach Blut lechzender Tiger auf Antonio mit gezücktem Messer zutrat. Um so natürlicher war auch der Abfall von seiner grimmigen Stimmung bei dem Haltrufe Portia's und der Erklärung der ihm feindlichen Bedeutung des Scheins. Seine Kraft, von der Begierde nach Rache völlig erschöpft, war gebrochen, da diese keine Befriedigung mehr fand, und der Gedanke konnte nicht aufkommen, dass er noch im Stande gewesen wäre, in der Verzweiflung Antonio das Messer in's Herz zu stossen. Ich erinnere mich noch der lautlosen Stille während seines Spiels, bis er nach der Thüre wankte und an derselben kraftlos beinahe zusammenbrach.

Die Gesellschaft mochte hiermit den Gegenstand für mehr als genügend erschöpft halten und ihre Unterhaltung ging zu anderen Fragen über.

Die Bühnen weisungen in den alten

Shakespeare-Ausgaben.

Von

N. Delius.

Die Bühnenweisungen (Stage-directions), mit denen Shake

speare's Text in den ursprünglichen Quarto- und Folio-Ausgaben ausgestattet ist, mussten von jeher die Aufmerksamkeit der nachfolgenden Herausgeber und Erklärer schon deshalb auf sich ziehen, weil sie, unvollständig wie sie erschienen, auch im besten Falle vielfacher Ergänzung oder Berichtigung bedurften. In den spätern kritischen oder erklärenden Anmerkungen zu den Dramen unseres Dichters finden wir denn auch diese alten Bühnenweisungen gelegentlich citirt und besprochen, aber immer nur, wenigstens so weit ich sehen kann, in Beziehung auf die einzelne betreffende Stelle oder gelegentlich zur Kennzeichnung der Beschaffenheit, in welcher uns ein einzelnes Schauspiel überliefert ist. An einer systematischen Uebersicht und Zusammenstellung dieser anweisenden Zuthaten zu dem gesprochenen Texte, wie sie durch alle Quartos und Folios hin zerstreut vorkommen, scheint es bisher gefehlt zu haben. Und doch wäre der Versuch einer solchen Arbeit nicht uninteressant, sollte sich auch nur dabei herausstellen, dass die auffällige Verschiedenheit des Mehr oder Weniger dieser Bühnenweisungen bei den einzelnen Stücken keineswegs zufällig, sondern auf ganz bestimmte Gründe zurückzuführen sein möchte. Weniger in Anschlag zu bringen ist ein etwaiger Gewinn, der sich aus einer systematischen Betrachtung der gesammelten Bühnenweisungen ergeben könnte zur Bereicherung unserer Kenntniss von scenischen Details des alten

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