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Tag über1 was Besonderes vorgieng; die Menge schien nur da zu sein, um sich zu drängen, und die Zuschauer, um sich unter einander zu betrachten: denn das, worauf es eigentlich ankam2, ereignete sich erst3 mit sinkender Nacht und wurde. mehr geglaubt als mit Augen geschen*. /

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In jenen ältern unruhigen Zeiten3 nämlich, wo ein Jeder nach Belieben® Unrecht that, oder nach Lust das Rechte' beförderte, wurden die auf die Messen ziehenden Handelsleute von Wegelagerern3, edlen und unedlen Geschlechts, willkürlich geplagt und geplackt1o, so daß Fürsten und andere mächtige Stände die Ihrigen mit gewaffneter Hand" bis nach Frankfurt geleiten ließen. Hier wollten nun aber die Reichsstädter sich selbst und ihrem Gebiet nichts vergeben"; sie zogen den Ankömmlingen entgegen: da gab es denn manchmal Streitigkeiten, wie weit jene Geleitenden herankommen, oder ob sie wohl gar13 ihren Eintritt in die Stadt nehmen könnten. Weil nun dieses nicht allein bei Handels- und Meßgeschäften stattfand, sondern auch, wenn hohe Personen" in Kriegs- und Friedenszeiten, vorzüglich aber zu Wahltagen", sich heranbegaben, und es auch öfters zu Thätlichkeiten kam1, sobald irgend ein Gefolge, das man in der Stadt nicht dulden wollte, sich mit seinem Herrn hereinzudrängen begehrte: so waren zeither" darüber manche Verhandlungen gepflogen 18, es waren viele Recesse deshalb, obgleich stets mit beiderseitigen Vorbehalten, geschlossen worden, und man gab die Hoffnung nicht auf, den seit Jahrhunderten dauernden Zwist20 endlich einmal beizulegen, als die ganze Anstalt, weshalb er so lange und oft sehr heftig geführt" worden war, beinah für unnüß, wenigstens für überflüssig angesehen werden konnte.

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Unterdessen ritt die bürgerliche Cavallerie in mehreren Abtheilungen, mit den Oberhäuptern" an ihrer Spiße, an jenen

Tagen zu verschiedenen Thoren hinaus, fand an einer gewissen Stelle einige Reiter oder Husaren der zum Geleit berechtigten Reichsstände, die nebst ihren Anführern wohl empfangen und bewirthet' wurden; man zögerte2 bis gegen Abend und ritt alsdann, kaum von der wartenden Menge gesehen3, zur Stadt herein; da denn mancher bürgerliche Reiter weder sein Pferd noch sich selbst auf dem Pferde zu erhalten vermochte. Zu dem Brückenthore kamen die bedeutendsten Züge herein, und deswegen war der Andrang dorthin am Stärksten. Ganz zulegt und mit sinkender Nacht langte der auf gleiche Weise geleitete Nürnberger Postwagen an, und man trug sich mit der Rede', es müsse jederzeit, dem Herkommen gemäß, eine alte Frau darin sigen; weshalb denn die Straßenjungen bei Ankunft des Wagens in ein gellendes 10 Geschrei auszubrechen pflegten, ob man gleich" die im Wagen sigenden Passagiere keineswegs mehr unterscheiden konnte. Unglaublich und wirklich die Sinne verwirrend1 war der Drang 13 der Menge, die in diesem Augenblick durch das Brückenthor herein dem Wagen nachstürzte, deswegen auch die nächsten Häuser von den Zuschauern am Meisten gesucht

wurden.

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Eine andere, noch viel seltsamere Feierlichkeit, welche am hellen Tage1 das Publicum aufregte, war das Pfeifergericht. Es erimerte diese Ceremonie an jene ersten Zeiten, wo bedeutende Handelsstädte sich von den Zöllen, welche mit Handel und Gewerb in gleichem Maaße zunahmen, wo nicht" zu befreien, doch wenigstens eine Milderung derselben zu erlangen suchten. Der Kaiser, der ihrer bedurfte, ertheilte cine solche Freiheit da, wo es von ihm abhieng, gewöhnlich aber nur auf ein Jahr, und sie mußte daher jährlich erneuert werden. Dieses geschah durch symbolische Gaben, welche dem

kaiserlichen Schultheißen, der auch wohl gelegentlich Oberzölner sein konnte, vor Eintritt der Bartholomäi-Messe gebracht wurden, und zwar des Anstands wegen3, wenn er mit den Schöffen zu Gericht saß*. Als der Schultheiß späterhin nicht mehr vom Kaiser geseßt, sondern von der Stadt selbst gewählt wurde, behielt er doch diese Vorrechte, und sowohl die Zollfreiheiten der Städte, als die Ceremonien, womit die Abgeordneten von Worms, Nürnberg und Alt-Bamberg diese uralte Vergünstigung anerkannten, waren bis auf unsere Zeiten gekommen. Den Tag vor Mariä Geburts ward ein öffentlicher Gerichtstag angekündigt. In dem großen Kaiserfaale, in einem umschränkten® Raume, saßen erhöht1o die Schöffen, und eine Stufe höher der Schultheiß in ihrer Mitte; die von den Parteien bevollmächtigten" Procuratoren unten zur rechten Seite. Der Actuarius fängt an, die auf diesen Tag gesparten22 wichtigen Urtheile laut vorzulesen: die Procuratoren bitten um Abschrift, appelliren, oder was sie sonst zu thun nöthig finden.

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Auf einmal meldet eine wunderliche13 Musik gleichsam die Ankunft voriger Jahrhunderte. Es sind drei Pfeifer, deren einer eine alte Schalmei, der andere einen Baß, der dritte einen Pommer oder Hoboe bläst. Sie tragen blaue, mit Gold verbrämte Mäntel, auf den Aermeln die Noten befestigt, und haben das Haupt bedeckt. So waren sie aus ihrem Gasthause, die Gesandten und ihre Begleitung hinterdrein1o, Punkt Zehn1 ausgezogen, von Einheimischen und Fremden angestaunt, und so treten sie in den Saal. Die Gerichtsverhandlungen halten inne, Pfeifer und Begleitung bleiben vor den Schranken, der Abgesandte tritt hinein und stellt sich dem Schultheißen gegenüber. Die symbolischen Gaben, welche auf das Genaueste nach dem alten Herkommen gefordert wur

den, bestanden gewöhnlich in solchen Waaren, womit die darbringende Stadt1 vorzüglich zu handeln pflegte. Der Pfeffer galt gleichsam für alle Waaren, und so brachte auch hier der Abgesandte einen schön gedrechselten hölzernen Pokal mit Pfeffer angefüllt. Ueber demselben lagen ein Paar Handschuhe, wundersam geschlißt, mit Seide besteppt und bequastet, als Zeichen einer gestatteten und angenommenen Vergün stigung, dessen sich auch wohl der Kaiser selbst in gewissen Fällen bediente. Daneben sah man ein weißes Stäbchen*, welches vormals bei geseßlichen und gerichtlichen Handlungen nicht leicht fehlen durfte. Es waren noch einige kleine Silbermünzen hinzugefügt, und die Stadt Worms brachte einen alten Filzhut, den sie immer wieder einlöste, so daß derselbe viele Jahre ein Zeuge dieser Ceremonien gewesen.

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Nachdem der Gesandte seine Anrede gehalten, das Geschenk abgegeben, von dem Schultheißen die Versicherung fortdauernder Begünstigung empfangen, so entfernte er sich aus dem geschlossenen Kreise; die Pfeifer bliesen, der Zug gieng ab, wie er gekommen war, das Gericht verfolgte seine Geschäfte, bis der zweite und endlich der dritte Gesandte eingeführt wurden; denn sie kamen erst einige Zeit nach einander, theils damit das Vergnügen des Publicums länger daure, theils auch weil es immer dieselben alterthümlichen Virtuosen' waren, welche Nürnberg für sich und seine Mitstädtes zu unterhalten und jedes Jahr an Ort und Stelle zu bringen übernommen hatte.

Wir Kinder waren bei diesem Feste besonders interessirt, weil es uns nicht wenig schmeichelte, unsern Großvater an einer so ehrenvollen Stelle zu sehen, und weil wir gewöhnlich noch selbigen Tag1o ihn ganz bescheiden zu besuchen pflegten, um, wenn die Großmutter den Pfeffer in ihre Gewürzladen"

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geschüttet hätte, einen Becher und Stäbchen', ein Paar Handschuh oder einen alten Räder-Albus3 zu erhaschen. Man konnte sich diese symbolischen, das Alterthum gleichsam her. vorzaubernden Ceremonien nicht erklären lassen, ohne in vergangene Jahrhunderte wieder zurückgeführt zu werden, ohne sich nach Sitten, Gebräuchen und Gesinnungen unserer Altvordern zu erkundigen, die sich durch wieder auferstandene Pfeifer und Abgeordnete, ja durch handgreifliche und für uns besigbare Gaben auf eine so wunderliche Weise vergegenwärtigten.

Solchen altehrwürdigen Feierlichkeiten folgte in guter Jahrszeit manches für uns Kinder lustreichere Fest außerhalb der Stadt unter freiem Himmel. An dem rechten Ufer des Mains unterwärts7, etwa eine halbe Stunde vom Thor, quillt ein Schwefelbrunnen, sauber eingefaßt und mit uralten Linden umgeben. Nicht weit davon steht der Hof zu den guten Leuten1o, ehmals ein um dieser Quelle willen erbautes Hospital". Auf den Gemeinweiden22 umher versammelte man zu einem gewissen Tage des Jahres die Rindviehheerden aus der Nachbarschaft, und die Hirten sammt ihren Mädchen13 feierten ein ländliches Fest, mit Tanz und Gesang, mit mancherlei Lust und Ungezogenheit". Auf der andern Seite der Stadt lag ein ähnlicher, nur größerer Gemeindeplag", gleichfalls durch einen Brunnen und durch noch schönere Linden geziert. Dorthin trieb man zu Pfingsten die Schaf / heerden, und zu gleicher Zeit ließ man die armen verbleichten" Waisenkinder aus ihren Mauern1 ins Freie; denn man sollte1 erst später auf den Gedanken gerathen, daß man solche verlassene Kreaturen, die sich einst durch die Welt durchzuhelfen genöthigt sind, früh mit der Welt in Verbindung bringen, anstatt sie auf eine traurige Weise zu

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