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und so stumpf1 mit dem Tode Hektors endige. Mein Oheim, gegen den ich diesen Tadel äußerte, verwies mich auf den Virgil, welcher denn meiner Forderung vollkommen Genüge that.

Zweites Buch.

Alles bisher Vorgetragene1 deutet auf jenen glücklichen und gemächlichen Zustand, in welchem sich die Länder während eines langen Friedens befinden. Nirgends aber genießt man eine solche schöne Zeit wohl mit größerem Behagen, als in Städten, die nach ihren eigenen Gesezen leben, die groß genug sind, eine ansehnliche Menge Bürger zu fassen, und wohl gelegen, um sie durch Handel und Wande!" zu bereichern. Fremde finden ihren Gewinn, da aus- und einzuziehen*, und sind genöthigt Vortheil zu bringen, um Vortheil zu erlangen. Beherrschen solche Städte auch kein weites Gebiets, so können sie desto mehr im Innern Wohlhäbigkeit bewirken, weil ihre Verhältnisse nach außen sie nicht zu kostspieligen Unternehmungen oder Theilnahmen verpflichten.

Auf diese Weise verfloß den Frankfurtern während meiner Kindheit eine Reihe glücklicher Jahre. Aber kaum hatte ich am 28. August 1756 mein siebentes Jahr zurückgelegt, als gleich darauf jener weltbekannte Krieg ausbrach, welcher auf die nächsten sieben Jahre meines Lebens auch großen Einfluß haben sollte. Friedrich der Zweite, König von Preußen, war mit 60,000 Mann in Sachsen eingefallen, und statt einer vorgängigen Kriegserklärung folgte ein Manifest, wie man

G. B.

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sagte, von ihm selbst verfaßt, welches die Ursachen enthielt, die ihn zu einem solchen ungeheuren1 Schritt bewogen und berechtigt. Die Welt, die sich nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Richter aufgefordert fand, spaltete sich sogleich in zwei Parteien, und unsere Familie war ein Bild des großen Ganzen.

Mein Großvater, der als Schöff von Frankfurt über Franz dem Ersten den Krönungshimmel getragen und von der Kaiserin eine gewichtiges goldene Kette mit ihrem Bildniß erhalten hatte, war mit einigen Schwiegersöhnen und Töch tern auf östreichischer Seite. Mein Vater, von Karl dem Siebenten zum kaiserlichen Rath ernannt und an dem Schicksale dieses unglücklichen Monarchen gemüthlich® theilnehmend, neigte sich mit der kleinern Familienhälfte gegen Preußen. Gar bald wurden unsere Zusammenkünfte, die man seit mehreren Jahren Sonntags ununterbrochen fortgesezt hatte, gestört. Die unter Verschwägerten gewöhnlichen Mißhelligkeiten' fanden nun erst eine Form, in der sie sich aussprechen konnten. Man stritt, man überwarf sich, man schwieg, man brach los. Der Großvater, sonst ein heitrer, ruhiger und bequemer Mann, ward ungeduldig. Die Frauen suchten vergebens das Feuer zu tüschen1o, und nach einigen unangenehmen Scenen blieb mein Vater zuerst aus der Gesellschaft". Nun freuten wir uns ungestört zu Hause der preußischen Siege, welche gewöhnlich durch jene leidenschaftliche Tante mit großem Jubel verkündigt wurden. Alles 1a andere Interesse mußte diesem weichen, und wir brachten den Ueberrest1 des Jahres in beständiger Agitation zu. Die Besignahme von Dresden, die anfängliche Mäßigung des Königs, die zwar langsamen, aber sichern Fortschritte, der Sieg bei Lowosiz1, die Gefangennehmung der Sachsen waren für

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unsere Partei ebenso viele Triumphe. Alles, was zum Vortheil der Gegner angeführt werden konnte, wurde geläugnet oder verkleinert; und da die entgegengesezten' Familienglieder das Gleiche thaten, so konnten sie einander nicht auf der Straße begegnen, ohne daß es Händel seßte, wie in Romeo und Julie2.

Und so war ich denn auch Preußisch, oder um richtiger zu reden, Frizisch3 gesinnt: denn was gieng uns Preußen an! Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüther wirkte. Ich freute mich mit dem Vater unserer Siege, schrieb sehr gern die Siegslieder ab, und fast noch lieber die Spottlieder auf die Gegenpartei, so platt" die Reime auch sein mochten.

Als ältester Enkel und Pathe hatte ich seit meiner Kindheit jeden Sonntag bei den Großeltern gespeist': es waren meine vergnügtesten Stunden der ganzen Woche. Aber nun wollte mir kein Bissen mehr schmecken: denn ich mußte meinen Helden aufs Gräulichste verleumden hören. Hier wehte ein anderer Wind, hier klang ein anderer Ton, als zu Hause. Die Neigung, ja die Verehrung für meine Großeltern nahm ab. Bei den Eltern durfte ich nichts davon erwähnen; ich unterließ es aus eigenem Gefühl und auch weil die Mutter mich gewarnt hatte. Dadurch war ich auf mich selbst zurückgewiesen, und ich fieng nun, wegen Friedrichs des Zweiten, die Gerechtigkeit des Publicums zu bezweifeln an. Die größten und augenfälligsten Verdienste wurden geschmäht und angefeindet, die höchsten Thaten, wo nicht geläugnet, doch wenigstens entstellt und verkleinert; und ein so schnödes Unrecht geschah dem einzigen, offenbar über alle seine Zeitgenossen erhabenen Manne, der täglich bewies und darthat, was er vermöge; und dies nicht etwa vom Pöbel,

sondern von vorzüglichen Männern, wofür ich doch1 meinen Großvater und meine Oheime zu halten hatte. Daß es Parteien geben könne, ja, daß er selbst zu einer Partei gehörte, davon hatte der Knabe keinen Begriff. Er glaubte um so viel mehr Recht zu haben und seine Gesinnung für die bessere erklären zu dürfen, da er und die Gleichgesinnten2 Marien Theresien, ihre Schönheit und übrigen guten Eigenschaften ja gelten ließen3 und dem Kaiser Franz seine Juwelen- und Geldliebhaberei weiter auch nicht verargtent; daß Graf Daun manchmal eine Schlafmüße geheißen wurde, glaubten fie verantworten zu können.

Ob nun gleich die meisten sich dieser wichtigen, in der Ferne vorgehenden Ereignisse nur zu einer leidenschaftlichen Unterhaltung bedienten, so waren doch auch andere, welche den Ernst dieser Zeiten wohl einsahen und befürchteten, daß bei einer Theilnahme Frankreichs der Kriegsschauplah sich auch in unsern Gegenden aufthun könne. Man hielt uns Kinder mehr als bisher zu Hause und suchte uns auf mancherlei Weise zu beschäftigen und zu unterhalten. Zu solchem Ende hatte man das von der Großmutter hinterlassene Puppenspiels wieder aufgestellt, und zwar dergestalt eingerichtet, daß die Zuschauer in meinem Giebelzimmer sizen, die spielenden und dirigirenden Personen aber, so wie das Theater selbst vom Proscenium an, in einem Nebenzimmer Plaz und Raum' fanden. Durch die besondere Vergünstigung, bald diesen, bald jenen Knaben als Zuschauer einzulassen, erwarb ich mir anfangs viele Freunde; allein die Unruhe, die in den Kindern steckt1o, ließ sie nicht lange geduldige Zuschauer bleiben. Sie störten das Spiel, und wir mußten uns ein jüngeres Publicum aussuchen, das noch allenfalls" durch Ammen und Mägde in der Ordnung

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