Page images
PDF
EPUB

verborgen, die auffallendsten1 Stellen auswendig zu lernen2 und besonders die zartesten und heftigsten so geschwind als möglich ins Gedächtniß zu fassen.

3

Portia's Traum recitirten wir um die Wette, und in das wilde verzweifelnde Gespräch zwischen Satan und Abramelech, welche ins rothe Meer gestürzt worden*, hatten wir uns getheilt. Die erste Rolle, als die gewaltsamste, war auf mein Theil gekommen, die andere, um ein wenig kläglicher, übernahm meine Schwester. Die wechselseitigen, zwar gräßlichen, aber doch wohlklingenden Verwünschungen flossen nur so vom Munde, und wir ergriffen jede Gelegenheit, uns mit diesen höllischen Redensarten zu begrüßen.

6

8

7

9

Es war ein Samstagsabend im Winter- der Vater ließ sich immer bei Licht rasiren, um Sonntags früh sich zur Kirche bequemlich anziehen zu können-wir saßen auf einem Schemel hinter dem Ofen und murmelten, während der Barbier einseifte, unsere herkömmlichen Flüche ziemlich leise. Nun hatte aber Adramelech den Satan mit eisernen Händen zu fassen, meine Schwester packte mich gewaltig an und recitirte, zwar leise genug, aber doch mit steigender Leidenschaft:

Hilf mir! ich flehe dich an, ich bete, wenn du es forderst, Ungeheuer, dich an! Verworfner, schwarzer Verbrecher, Hilf mir! ich leide die Pein des rächenden ewigen Todes !....... Vormals konnt' ich mit heißem, mit grimmigem Hasse dich haffen!

Jezt vermag ich's nicht mehr! Auch dies ist stechender Jammer 1o!

Bisher war alles leidlich" gegangen; aber laut, mit fürchters licher Stimme, rief sie die folgenden Worte:

Owie bin ich zermalmt!...

Der gute Chirurgus erschraf und goß dem Vater das Seifenbecken in die Brust. Da gab es einen großen

Aufstand, und eine strenge Untersuchung ward gehalten, besonders in Betracht des Unglücks, das hätte entstehen können, wenn man schon im Rasiren begriffen gewesen wäre. Um allen Verdacht des Muthwillens von uns abzulehnen, bekannten wir uns zu unsern teuflischen Rollen, und das Unglück, das die Herameter angerichtet hatten, war zu offenbar, als daß man sie nicht aufs Neue hätte verrufen3 und verbannen sollen.

So pflegen Kinder und Volk das Große, das Erhabene in ein Spiel, ja in eine Posse zu verwandeln; und wie sollten sie auch sonst im Stande sein, es auszuhalten und zu extragen!

Drittes Buch.

Der Neujahrstag ward zu jener Zeit durch den allgemeinen Umlauf1 von persönlichen Glückwünschungen für die Stadt sehr belebend. Wer sonst nicht leicht aus dem Hause kam, warf sich in seine besten Kleider2, um Gönnern und Freunden einen Augenblick freundlich und höflich zu sein. Für uns Kinder war besonders die Festlichkeit in dem Hause des Großvaters an diesem Tage ein höchst erwünschters Genuß. Mit dem frühsten Morgen waren die Enkel schon daselbst versammelt, um die Trommeln, die Hoboen und Klarinetten, die Posaunen und Zinken, wie sie das Militär, die Stadtmusici und wer sonst alles ertönen ließ, zu ver nehmen. Die versiegelten und überschriebenen Neujahrsgeschenke wurden von den Kindern unter die geringern Gratulanten ausgetheilt, und wie der Tag wuchs, so vermehrte sich die Anzahl der Honoratioren". Erst erschienen die Vertrauten und Verwandten, dann die untern Staatsbeamten; die Herren vom Rathe selbst verfehlten nicht, ihren Schultheiß zu begrüßen, und eine auserwählte Anzahl wurde Abends in Zimmern bewirthet, welche das ganze Jahr über kaum sich öffneten. Die Torten, Biscuitkuchen, Marzipane, der süße Wein übte den größten Reiz auf die Kinder aus,

G. B.

4

6

wozu noch kam, daß der Schultheiß so wie die beiden Burgemeister aus einigen Stiftungen' jährlich etwas Silberzeug erhielten, welches denn den Enkeln und Pathen nach einer gewissen Abstufung verehrt ward; genug, es fehlte diesem Feste im Kleinen an nichts, was die größten zu verherrlichen pflegt.

Der Neujahrstag 1759 kam heran, für uns Kinder erwünscht und vergnüglich wie die vorigen, aber den ältern Personen bedenklich und ahnungsvoll3. Die Durchmärsche der Franzosen war man zwar gewohnt, und sie ereigneten sich öfters und häufig, aber doch am häufigsten in den leßten Tagen des vergangenen Jahres. Nach alter reichsstädtischer Sitte posaunte der Thürmer des Hauptthurms, so oft Truppen heranrückten, und an diesem Neujahrstage wollte er gar nicht aufhören3, welches ein Zeichen war, daß größere Heereszüge von mehreren Seiten in Bewegung seien. Wirklich zogen sie auch in größeren Massen an diesem Tage durch die Stadt; man lief, sie vorbeipassiren zu sehen. Sonst war man gewohnt, daß sie nur in kleinen Partieen durchmarschirten; diese aber vergrößerten sich nach und nach, ohne daß man es verhindern konnte oder wollte. Genug, am 2. Januar, nachdem eine Colonne durch Sachsenhausen über die Brücke durch die Fahrgasse bis an die Constablerwache gelangt war, machte sie Halt, überwältigte das kleine, sie durchführende Commando, nahm Besiz von gedachter Wache, zog die Zeile hinunter, und nach einem geringen Widerstand mußte sich auch die Hauptwache ergeben. Augenblicks waren die friedlichen Straßen in einen Kriegsschauplag verwandelt. Dort verharrten und bivouakirten" die Truppen, bis durch regelmäßige Einquartierung für ihr Unterkommen gesorgt wäre.

9

Diese unerwartete, seit vielen Jahren unerhörte Last drückte die behaglichen Bürger gewaltig, und Niemand2 konnte sie beschwerlicher sein als dem Vater, der in sein kaum vollendetes Haus fremde militärische Bewohner aufnehmen, ihnen seine wohlaufgepußten und meist verschlossenen Staatszimmer3 einräumen und das, was er so genau zu ordnen und zu regieren pflegte, fremder Willkür preisgeben sollte; er, ohnehin preußisch gesinnt, sollte sich nun von Franzosen in seinen Zimmern belagert sehen: es war das Traurigste, was ihm nach seiner Denkweise* begegnen konnte. Wäre cs ihm jedoch möglich gewesen, die Sache leichter zu nehmen, da er gut französisch sprach und im Leben sich wohl mit Würde und Anmuth betragen konnte, so hätte er sich und uns manche trübe Stunde ersparen mögens; denn man quartierte bei uns den Königslieutenants, der, obgleich Militärperson, doch nur die Civilvorfälle, die Streitigkeiten zwischen Soldaten und Bürgern, Schuldensachen und Händel zu schlichten hatte. Es war Graf Thorane, von Grasse in der Provence, unweit Antibes, gebürtig, eine lange hagre ernste Gestalt, das Gesicht durch die Blattern sehr entstellt, mit schwarzen feurigen Augen, und von einem würdigen, zusammengenommenen Betragen. Gleich sein Eintritt war für den Hausbewohner günstig. Man sprach von den verschiedenen Zimmern, welche theils abgegeben werden, theils der Familie verbleiben sollten, und als der Graf ein Gemäldezimmer erwähnen hörte, so erbat er sich gleich, ob es schon Nacht war, mit Kerzen die Bilder wenigstens flüchtig zu besehen. Er hatte an diesen Dingen eine übergroße Freude, bezeigte' sich gegen den ihn begleitenden Vater auf das Verbindlichste, und als er vernahm, daß die meisten Künstler noch lebten, sich in Frankfurt und in der Nachbarschaft aufhielten, so vers

8

10

« PreviousContinue »