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ward denjenigen hingereicht, die noch etwas empfangen konnten'. Als man aber einige Zeit darauf blessirte und gefangne Deutsche unter diesem Zug gewahr wurde, fand das Mitleid keine Grenze, und es schien, als wollte Jeder sich von Allem entblößen, was er nur Bewegliches besaß, um seinen bedrängten Landsleuten beizustehen.

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Diese Gefangenen waren jedoch Anzeichen einer für die Alliirten unglücklichen Schlacht. Mein Vater, in seiner Parteilichkeit ganz sicher, daß diese gewinnen würden, hatte die leidenschaftliche Verwegenheit, den gehofften Siegern entgegen zu gehen, ohne zu bedenken, daß die geschlagene Partei erst über ihn wegfliehen müßte. Erst begab er sich in seinen Garten vor dem Friedbergers Thore, wo er Alles einsam und ruhig fand; dann wagte er sich auf die Bornheimer Heide, wo er aber bald verschiedene zerstreute Nachzügler und Troßknechte ansichtig ward, die sich den Spaß machten, nach den Grenzsteinen zu schießen, so daß dem neugierigen Wanderer das abprallende® Blei um den Kopf fauste. Er hielt es deshalb doch für gerathner, zurückzugehen, und erfuhr bei einiger Nachfrage, was ihm schon der Schall des Feuerns hätte klar machen sollen, daß Alles für die Franzosen gut stehe und an kein Weichen zu denken sei. Nach Hause gekommen, voll Unmuth, gerieth er beim Erblicken der verwundeten und gefangenen Landsleute ganz aus der gewöhnlichen Fassung. Auch er ließ den Vorbeiziehenden mancherlei Spende reichen; aber nur die Deutschen sollten" sie erhalten, welches nicht immer möglich war, weil das Schicksal Freunde und Feinde zusammen aufgepackt hatte.

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Die Mutter und wir Kinder, die wir schon früher auf des Grafen Wort gebaut und deshalb einen ziemlich be

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ruhigten Tag hingebracht hatten, waren höchlich1 erfreut; wir wünschten unserm Vater gleichen Glauben und gleiche Gesinnung, wir schmeichelten ihm, was wir konnten, wir baten ihn, etwas Speise zu sich zu nehmen, die er den ganzen Tag entbehrt hatte; er verweigerte unsre Liebkosungen* und jeden Genuß und begab sich auf sein Zimmer. Unsre Freude ward indessen nicht gestört; die Sache war entschieden; der Königslieutenant, der diesen Tag gegen seine Gewohnheit zu Pferde gewesen, kehrte endlich® zurück; seine Gegenwart zu Hause war nöthiger als je. Wir sprangen ihm entgegen, küßten seine Hände und bezeigten ihm unsere Freude. Es schien ihm sehr zu gefallen. „Wohl!" sagte er freundlicher als sonst, ich bin auch um euertwillen vergnügt, liebe Kinder!" Er befahl sogleich, uns Zuckerwerk, süßen Wein, überhaupt das Beste zu reichen, und gieng auf sein Zimmer, schon von einer großen Masse Dringender, Fordernder und Bittender umgeben.

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Wir hielten nun eine köstliche Collation, bedauerten den guten" Vater, der nicht Theil daran nehmen mochte1, und drangen in die Mutter, ihn herbei zu rufen; sie aber, flüger als wir, wußte wohl, wie unerfreulich ihm solche Gaben sein würden. Indessen hatte sie etwas Abendbrod 28 zurecht gemacht und hätte ihm gern eine Portion auf das Zimmer geschickt, aber eine solche Unordnung" litt er nie, auch nicht in den äußersten Fällen; und nachdem man die füßen Gaben bei Seite geschafft 15, suchte man ihn zu bereden, herab in das gewöhnliche Speisezimmer zu kommen. Endlich ließ er sich bewegen, ungern 16, und wir ahneten" nicht, welches Unheil wir ihm und uns bereiteten. Die Treppe lief frei durchs ganze Haus an allen Vorsälen vorbei. Der Vater mußte, indem er herabstieg, unmittelbar an des Grafen

Zimmer vorübergehen. Sein Vorsaal stand so voller1 Leute, daß der Graf sich entschloß, um Mehreres auf einmal abzuthun, herauszutreten; und dieß geschah leider in dem Augenblick, als der Vater herabkam. Der Graf gieng ihm heiter entgegen, begrüßte ihn und sagte: Ihr werdet uns und euch Glück wünschen, daß diese gefährliche Sache so glücklich abgelaufen ist." - Keinesweges! versezte mein Vater mit Ingrimm3; ich wollte, sie hätten euch zum Teufel gejagt, und wenn ich hätte mitfahren sollen. Der Graf hielt einen Augenblick inne, dann aber fuhr er mit Wuth auf: „Dieses sollt ihr büßen!" rief er; „Ihr sollt nicht umsonst der gerechten Sache und mir eine solche Beleidigung zugefügt haben! “

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Der Vater war indeß gelassen heruntergestiegen, seßte sich zu uns, schien heitrer als bisher und fieng an zu essen. Wir freuten uns darüber und wußten nicht, auf welche bedenkliche Weise er sich den Stein vom Herzen gewälzt hatte. Kurz darauf wurde die Mutter herausgerufen, und wir hatten große Lust, dem Vater auszuplaudern, was uns der Graf für Süßigkeiten verehrt habe. Die Mutter kam nicht zurück. Endlich trat der Dolmetscher herein. Auf seinen Wink schickte man uns zu Bette; es war schon spät, und wir gehorchten gern. Nach einer ruhig durchschlafenen Nacht' erfuhren wir die gewaltsame Bewegung, die gestern Abend das Haus erschüttert hatte. Der Königslieutenant hatte sogleich befohlen, den Vater auf die Wache1 zu führen. Die Subalternen" wußten wohl, daß ihm niemals zu widersprechen war; doch hatten sie sich manchmal Dank verdient, wenn sie mit der Ausführung zauderten. Diese Gesinnung wußte der Gevatter Dolmetsch, den die Geistesgegenwart niemals verließ, aufs Lebhafteste bei ihnen rege zu machen 1o. Der Tumult war ohnehin so groß, daß eine Zögerung sich

von selbst versteckte1 und entschuldigte.

Er hatte meine

Mutter herausgerufen und ihr den Adjutanten gleichsam in die Hände gegeben, daß sie durch Bitten und Vorstellungen nur einigen Aufschub erlangen möchte. Er selbst eilte schnell hinauf zum Grafen, der sich bei der großen Beherr schung seiner selbst3 sogleich ins innere Zimmer zurückgezogen hatte und das dringendste. Geschäft lieber einen Augenblick stocken ließ, als daß er den einmal in ihm erregten bösen Muth an einem Unschuldigen gekühlt* und eine seiner Würde nachtheilige Entscheidung gegeben hätte.

Die Anrede des Dolmetschers an den Grafen, die Führung des ganzen Gesprächss hat uns der dicke Gevatter, der sich auf den glücklichen Erfolg nicht wenig zu Gute that, oft genug wiederholt, so daß ich sie aus dem Gedächtniß wohl noch aufzeichnen kann.

Der Dolmetsch hatte gewagt, das Kabinet zu eröffnen und hineinzutreten, eine Handlung, die höchft verpönt' war. ,,Was wollt Ihr?" rief ihm der Graf zornig entgegen. „Hinaus mit Euch! Hier hat Niemand das Recht, hereinzutreten, als Saint Jeans."

So haltet mich einen Augenblick für Saint Jean, versezte der Dolmetsch.

„Dazu gehört eine gute Einbildungskraft. Seiner1o zwei machen noch nicht einen, wie Ihr seid. Entfernt Euch!“ Herr Graf, Ihr habt eine große Gabe vom Himmel empfangen, und an die appellire ich.

„Ihr denkt mir zu schmeicheln! Glaubt nicht, daß es Euch gelingen werde."

Ihr habt die große Gabe, Herr Graf, auch in Augenblicken der Leidenschaft, in Augenblicken des Zorns die Gesinnungen Anderer anzuhören.

G. B.

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Wohl, wohl! Von Gesinnungen ist eben die Rede, die ich zu lange angehört habe. Ich weiß nur zu gut, daß man uns hier nicht liebt, daß uns diese Bürger scheel ansehn1." Nicht alle!

Sehr viele! Was! diese Städter, Reichsstädter wollen sie sein? Ihren Kaiser haben sie wählen und krönen sehen, und wenn dieser, ungerecht angegriffen, seine Länder zú verlieren und einem Usurpator3 zu unterliegen Gefahr läuft, wenn er glücklicherweise getreue Alliirte findet, die ihr Geld, ihr Blut zu seinem Vortheil verwenden, so wollen sie die geringe Last nicht tragen, die zu ihrem Theil* sie trifft, daß der Reichsfeind gedemüthigt werde."

Freilich kennt Ihr diese Gesinnungen schon lange und habt sie als ein weiser Mann geduldet; auch ist es nur die geringere Zahl. Wenige, verblendet' durch die glänzenden Eigenschaften des Feindes, den Ihr ja selbst als einen außerordentlichen Mann schäßt, wenige nur, Ihr wißt es!

„Ja wohl! zu lange habe ich es gewußt und geduldet, sonst hätte dieser sich nicht unterstanden, mir in den bedeutendsten Augenblicken solche Beleidigungen ins Gesicht zu fagen. Es mögen sein, so viel ihrer wollen, sie sollen in diesem ihrem kühnen Repräsentanten gestraft werden und sich merken 20, was sie zu erwarten haben."

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Nur Aufschub, Herr Graf!

„In gewissen Dingen kann man nicht zu geschwind verfahren."

Nur einen kurzen Aufschub!

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„Nachbar“! Ihr denkt mich zu einem falschen Schritt 1 zu verleiten; es soll Euch nicht gelingen."

Weder verleiten will ich Euch zu einem falschen Schritt, noch von einem falschen zurückhalten; Euer Entschluß ist

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