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gerecht er geziemt' dem Franzosen, dem Königslieutenant; aber bedenkt, daß Ihr auch Graf Thorane seid.

"

Der hat hier nicht mitzusprechen."

Man sollte den braven Mann3 doch auch hören.

,,Nun, was würde er denn sagen?"

Herr Königslieutenant! würde er sagen, Ihr habt lange mit so viel dunklen, unwilligen, ungeschickten Menschen Geduld gehabt, wenn sie es Euch nur nicht gar zu arg machten. Dieser hat's freilich sehr arg gemacht; aber gewinnt es über Euch, Herr Königslieutenant! und jedermann wird Euch deswegen loben und preisen.

"Ihr wißt, daß ich Eure Possen' manchmal leiden kann; aber mißbraucht nicht mein Wohlwollen. Diese Menschen, sind sie denn ganz verblendet? Hätten wir die Schlacht verloren, in diesem Augenblick was würde ihr Schicksal sein ? Wir schlagen uns bis vor die Thore, wir sperren die Stadt, wir halten, wir vertheidigen uns, um unsere Retirade über die Brücke zu decken. Glaubt Ihr, daß der Feind die Hände in den Schooß gelegt hätte 10? Er wirft Granaten und was er bei der Hand" hat, und sie zünden, wo sie können. Dieser Hausbesizer da, was will er 12? In diesen Zimmern hier plagte 13 jezt wohl eine Feuerkugel, und eine andere folgte hinterdrein; in diesen Zimmern, deren vermaledeite" PekingTapeten ich geschont, mich genirt habe; meine Landkarten nicht aufzunageln! Den ganzen Tag 1 hätten sie auf den Knieen liegen sollen."

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Wie viele haben das gethan!

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Sie hätten sollen den Segen für uns erflehen, den Generalen und Officieren mit Ehren- und Freudenzeichen, den ermatteten Gemeinen mit Erquickung entgegen gehen. Anstatt dessen verdirbt mir der Gift" dieses Parteigeistes die

schönsten, glücklichsten, durch so viel Sorgen und Anstrengungen erworbenen Augenblicke meines Lebens!"

Es ist ein Parteigeist; aber Ihr werdet ihn durch die Bestrafung dieses Mannes nur vermehren. Die mit ihm Gleichgesinnten werden Euch als einen Tyrannen, als einen Barbaren ausschreien1; sie werden ihn als einen Märtyrer betrachten, der für die gute Sache gelitten hat; und selbst die anders Gesinnten, die jeßt seine Gegner sind, werden in ihm nur den Mitbürger sehen, werden ihn bedauern und, indem sie Euch Recht geben, dennoch finden, daß Ihr zu hart verfahren seid.

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Ich habe Euch schon zu lange angehört; macht, daß Ihr fortkommt!"

So hört nur noch dieses! Bedenkt, daß es das Unerhörteste ist, was diesem Manne, was dieser Familie begegnen könnte. Ihr hattet nicht Ursache, von dem guten Willen des Hausherrn erbaut2 zu sein; aber die Hausfrau ist allen Euren Wünschen zuvorgekommen 3, und die Kinder haben Euch als ihren Oheim betrachtet. Mit diesem einzigen Schlag werdet Ihr den Frieden und das Glück dieser Wohnung auf ewig zerstören. Ja, ich kann wohl sagen, eine Bombe, die ins Haus gefallen wäre, würde nicht größere Verwüstungen darin angerichtet haben. Ich habe Euch so oft über Eure Fassung bewundert5; Herr Graf; gebt mir diesmal Gelegenheit, Euch anzubeten. Ein Krieger ist ehrwürdig, der sich selbst in Feindes Haus als einen Gastfreund betrachtet; hier ist kein Feind, nur ein Verirrter. Gewinnt es über Euch, und es wird Euch zu ewigem Nuhme gereichen!

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Das müßte wunderlich zugehen,“ versezte der Graf mit cinem Lächeln.

Nur ganz natürlich, erwiederte der Dolmetscher. Ich

habe die Frau, die Kinder nicht zu Euren Füßen geschickt : denn ich weiß, daß Euch solche Scenen verdrießlich sind; aber ich will Euch die Frau, die Kinder schildern, wie sie Euch danken: ich will sie Euch schildern, wie sie sich zeitlebens von dem Tage der Schlacht bei Bergen und von Eurer Großmuth an diesem Tage unterhalten, wie sie es Kindern und Kindeskindern erzählen und auch Fremden ihr Interesse für Euch einzuflößen wissen: eine Handlung dieser Art kann nicht untergehen!

"Ihr trefft meine schwache Seite nicht', Dolmetscher. An den Nachruhm pfleg' ich nicht zu denken, der ist für Andere, nicht für mich; aber im Augenblick recht zu thun, meine Pflicht nicht zu versäumen, meiner Ehre nichts zu vergeben, das ist meine Sorge. Wir haben schon zu viel Worte gemacht! jezt geht hin-und laßt Euch von den Undankbaren danken, die ich verschone!"

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Der Dolmetsch, durch diesen unerwartet glücklichen Ausgang überrascht und bewegt, konnte sich der Thränen nicht enthalten und wollte dem Grafen die Hände küssen; der Graf wies ihn ab und sagte streng und ernst: „Ihr wißt, daß ich dergleichen nicht leiden kann!" Und mit diesen Worten trat er auf den Vorsaal, um die andringenden Geschäfte zu besorgen und das Begehren so vieler wartenden Menschen zu vernehmen. So ward die Sache beigelegt, und wir feierten den andern Morgen, bei den Ueberbleibseln der gestrigen Zuckergeschenke, das Vorübergehen eines Uebels, dessen Androhen wir glücklich verschlafen hatten.

Ob der Dolmetsch wirklich so weise gesprochen, oder ob er sich die Scene nur so ausgemalt, wie man es wohl nach einer guten und glücklichen Handlung zu thun pflegt, will ich nicht entscheiden; wenigstens hat er bei Wiedererzählung derselben.

niemals variirt1. Genug, dieser Tag dünkte ihm, so wie der sorgenvollste, so auch der glorreichste seines Lebens.

Der Königslieutenant wohnte noch immer in unserm Hause. Er hatte sein Betragen in nichts geändert, besonders gegen uns; allein es war merklich, und der Gevatter Dolmetsch wußte es uns noch deutlicher zu machen, daß er sein Amt nicht mehr mit der Heiterkeit, nicht mehr mit dem Eifer verwaltete wie anfangs, obgleich immer mit derselben Rechtschaffenheit und Treue. Sein Wesen und Betragen, das eher einen Spanier als einen Franzosen ankündigte, seine Launen, die doch mitunter Einfluß auf ein Geschäft hatten, seine Unbiegsamkeit gegen die Umstände, seine Reizbarkeit gegen Alles, was seine Person oder Charakter berührte, dieses zusammen mochte ihn doch zuweilen mit seinen Vorgesezten in Conflict bringen. Hiezu kam noch, daß er in einem Duell, welches sich im Schauspiel entsponnen hatte, verwundet wurde und man dem Königslieutenant übel nahm, daß er selbst eine verpönte* Handlung als oberster Polizeimeister begangen. Alles dieses mochte, wie gesagt, dazu beitragen, daß er in sich gezogner lebte und hier und da vielleicht weniger energisch verfuhr.

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Er verließ die Stadt und erhielt stufenweise noch verschiedene Chargens, doch wie man hörte, nicht zu seiner Zufriedenheit. Er hatte indeß das Vergnügen, die so emsig von ihm besorgten Gemälde in dem Schlosse seines Bruders glücklich angebracht zu sehen, schrieb einigemale, sendete Maaße und ließ von den oben genannten Künstlern Verschiedenes nacharbeiten. Endlich vernahmen wir nichts weiter von ihm, außer daß man uns nach mehreren Jahren versichern wollte, er sei in Westindien, auf einer der französ fischen Kolonieen, als Gouverneur gestorben.

NOTES.

TITLE.

The motto prefixed by Goethe to his autobiography is derived from the fragments of Menander, a Greek comic poet who flourished in the second half of the fourth century B. C. (see Comic. gr. fragm. ed. Meineke IV. 352); Hugo Grotius, a famous Dutch scholar of the seventeenth century, has thus expressed this line in a Latin verse: male eruditur ille qui non vapulat. It should of course be understood here in a wider sense as applied to the 'sweet uses of adversity'.

I have followed the example of Mr G. H. Lewes in adding Goethe's well-known lines as an appropriate motto of the experiences of his boyhood.

das Führen die Führung, 'the guidance'; compare the phrase, cr führt ein gutes Leben, he leads a good life.

die Frohnatur is a compound far more expressive than die frohe Natur would be; it denotes a cheerful, merry temper.-The dim. Mütterchen expresses affection. Though in the record of his life Goethe speaks of his father much oftener than of his mother, it is well known that he cherished and loved his mother with much greater affection. It may almost be said that the elaborate description he gives of his father's manners and intentions conveys an impression as if Goethe in his later years, when he came to write his life, endeavoured to do justice to a father whose severe and austere rule had been distasteful to the impetuous boy.

fabuliren, lit. 'to invent fables', is used in a wider sense of poetic invention.

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