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freier und ungehinderter, theils allein, theils mit muntern Gespielen, darin auf und ab wandelte. Um den Eindruck, den diese ernsten und würdigen Umgebungen auf mich machten, einigermaßen mitzutheilen, muß ich hier mit der Schilderung meines Geburtsortes vorgreifen, wie er sich in seinen verschiedenen Theilen allmählich vor mir entwickelte. Am Liebsten spazierte ich auf der großen Mainbrücke. Ihre Länge, ihre Festigkeit, ihr gutes Ansehen machte sie zu einem bemerkenswerthen Bauwerk; auch ist es aus früherer Zeit beinahe das einzige Denkmal jener Vorsorge, welche die weltliche Obrigkeit ihren Bürgern schuldig ist. Der schöne Fluß auf und abwärts zog meine Blicke nach sich'; und wenn auf dem Brückenkreuz der goldene Hahn im Sonnenschein glänzte, so war es mir immer eine erfreuliche Empfindung. Gewöhnlich ward alsdann durch Sachsenhausen spaziert und ́die Ueberfahrt für einen Kreuzer gar behaglich1o genoffen. Da befand man sich nun wieder diesseits, da schlich man zum Weinmarkte", bewunderte den Mechanismus der Krahne 22, wenn Waaren ausgeladen wurden; besonders aber unterhielt uns die Ankunft der Marktschiffe13, wo man so mancherlei und mitunter so seltsame Figuren aussteigen sah. Gieng es nun in die Stadt herein, so ward jederzeit der Saalhof1, der wenigstens an der Stelle stand, wo die Burg Kaiser Karls des Großen und seiner Nachfolger gewesen sein sollte, ehrfurchtsvoll gegrüßt. Man verlor sich in die alte Gewerbstadt 15 und besonders Markttages1 gern in dem Gewühl, das sich um die Bartholomäuskirche” herum versammelte. Hier hatte sich, von den frühsten Zeiten an, die Menge der Verkäufer und Krämer übereinander gedrängt, und wegen einer solchen Besignahme konnte nicht leicht in den neuern Zeiten eine geräumige und heitere Anstalt's Play finden. Die Buden

des sogenannten Pfarreisen waren uns Kindern sehr bedeutend, und wir trugen manchen Bazen hin, um uns farbige, mit goldenen Thieren bedruckte Bogen anzuschaffen, Nur selten aber mochte man sich über den beschränkten, vollgepfropften und unreinlichen Marktplay hindrängen. So erinnere ich mich auch, daß ich immer mit Entseßen vor den daranstoßenden engen und häßlichen Fleischbänken* geflohen bin. Der Römerberg war ein desto angenehmerer Spazierplaz®.

Nichts architektonisch Erhebendes war damals in Frankfurt zu sehen: Alles deutete auf eine längst vergangene, für Stadt und Gegend sehr unruhige Zeit. Pforten und Thürme, welche die Grenze der alten Stadt bezeichneten, dann weiterhin1o abermals Pforten, Thürme, Mauern, Brücken, Wälle, Gräben, womit die neue Stadt umschlossen war, Alles sprach noch zu deutlich aus", daß die Nothwendigkeit, in unruhigen Zeiten dem Gemeinwesen Sicherheit zu verschaffen, diese Anstalten hervorgebracht, daß die Pläße, die Straßen, selbst die neuen, breiter und schöner angelegten, alle nur dem Zufall und der Willfür 13 und keinem regelnden. Geiste ihren Ursprung zu danken" hatten.

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Bedeutend blieb für uns das Rathhaus1, der Römer genannt. In seinen untern gewölbähnlichen Hallen verloren" wir uns gar zu gerne. Wir verschafften uns Eintritt in das große, höchst einfache Sessionszimmer 18 des Rathes. Bis auf eine gewisse Höhe getäfelt, waren übrigens die Wände so wie die Wölbung weiß und das Ganze ohne Spur von Malerei oder irgend einem Bildwerk. Nur an der mittelsten Wand in der Höhe las man die kurze Inschrift : Eines Manns Rede

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Ist keines Manns Rede:

Man soll sie billig hören Beede".

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Nach der alterthümlichsten' Art waren für die Glieder dieser Versammlung Bänke ringsumher an der Vertäfelung2 angebracht und um eine Stufe von dem Boden erhöht. Da begriffen wir leicht, warum die Nangordnung unseres Senats nach Bänken eingetheilt sei. Von der Thüre linker Hand bis in die gegenüberstehendes Ecke, als auf der ersten Bank, saßen die Schöffen®, in der Ecke selbst der Schultheiß', der einzige, der ein kleines Tischchen vor sich hatte; zu seiner Linken bis gegen die Fensterseite° saßen nunmehr 10 die Herren der zweiten Bank; an den Fenstern her zog sich" die dritte Bank, welche die Handwerker einnahmen; in der Mitte des Saals stand ein Tisch für den Protokollführer 12.

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Waren wir einmal im Römer13, so mischten wir uns auch wohl in das Gedränge vor den burgemeisterlichen Audienzen. Aber größeren Reiz hatte Alles, was sich auf Wahl und Krönung der Kaiser bezog. Wir wußten uns die Gunst der Schließer zu verschaffen, um die neue, heitre, in Fresco gemalte, sonst durch ein Gitter verschlossene Kaisertreppe" hinaufsteigen zu dürfen. Das mit Purpurtapeten und wunderlich verschnörkelten Goldleisten verzierte Wahlzimmer1 flößte uns Ehrfurcht ein. Die Thürstücke", auf welchen kleine Kinder oder Genien, mit dem kaiserlichen Ornat be kleidet und belastet 20 mit den Reichsinsignien, eine gar wunderliche Figur spielen", betrachteten wir mit großer Aufmerksamkeit und hofften wohl auch, noch einmal eine Krönung mit Augen zu erleben". Aus dem großen Kaisersaale konnte man uns nur mit sehr vieler Mühe wieder herausbringen, wenn es uns einmal geglückt war, hineinzuschlüpfen: und wir hielten denjenigen für unsern wahrsten Freund, der uns bei den Brustbildern der sämmtlichen Kaiser, die in einer gewissen Höhe umher gemalt waren, etwas von ihren Thaten erzählen mochte 25.

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Von Karl dem Großen' vernahmen wir manches Märchenhafte2; aber das Historisch-Interessante für uns fieng erst mit Rudolph von Habsburg3 an, der durch seine Mannheit so großen Verwirrungen* ein Ende gemacht. Auch Karl der Vierte zog unsre Aufmerksamkeit an sich. Wir hatten schon von der goldnen Bulle und der peinlichen Halsgerichtsordnung gehört, auch daß er den Frankfurtern ihre Anhänglichkeit an seinen edlen Gegenkaiser Günther von Schwarzburg nicht entgelten ließ. Marimilianen hörten wir als einen Menschen- und Bürgerfreund loben, und daß von ihm prophezeit worden, er werde der lezte Kaiser aus einem deutschen Hause sein; welches denn auch leider eingetroffen", indem nach seinem Tode die Wahl nur zwischen dem König von Spanien, Karl dem Fünften", und dem König von Frankreich, Franz dem Ersten", geschwankt habe. Bedenklich fügte man hinzu, daß nun abermals eine solche Weissagung oder vielmehr Vorbedeutung umgehe": denn es sei augenfällig, daß nur noch Plag für das Bild Eines 16 Kaisers übrig bleibe; ein Umstand, der, obgleich zufällig scheinend, die Patriotischgesinnten" mit Besorgniß erfülle.

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Wenn wir nun so einmal unsern Umgang hielten 18, verfehlten wir auch nicht, uns nach dem Dom zu begeben und daselbst das Grab jenes braven, von Freund und Feinden geschäßten Günther1 zu besuchen. Der merkwürdige Stein, der es ehmals bedeckte, ist in dem Chor aufgerichtet. Die gleich daneben befindliche Thüre, welche ins Conclave20 führt, blieb uns lange verschlossen, bis wir endlich durch die obern Behörden auch den Eintritt in diesen so bedeutenden Ort zu erlangen wußten. Allein wir hätten besser gethan, ihn durch unsere Einbildungskraft", wie bisher, auszumalen: denn wir fanden diesen in der deutschen Geschichte so merkwürdigen

Raum, wo die mächtigsten Fürsten' sich zu einer Handlung von solcher Wichtigkeit zu versammeln pflegten, keineswegs würdig* ausgeziert, sondern noch obenein3 mit Balken, Stangen, Gerüsten und anderem solchen Gesperrs, das man bei Seite sehen wollte, verunstaltet®. Desto mehr ward unsere Einbildungskraft angeregt und das Herz uns erhoben, als wir kurz nachher die Erlaubniß erhielten, beim Vorzeigen der goldnen Bulle an einige vornehme Fremden auf dem Rathhause gegenwärtig zu sein.

Hatte man in einer solchen patriotischen Beschränkung3 kaum ein halbes Jahr hingebracht, so traten schon die Messeno wieder ein, welche in den sämmtlichen Kinderköpfen" jederzeit cine unglaubliche Gährung" hervorbrachten. Eine durch Erbauung1 so vieler Buden innerhalb der Stadt in weniger Zeit entspringende neue Stadt, das Wogen und Treiben“, das Abladen und Auspacken der Waaren erregte von den ersten Momenten des Bewußtseins an eine unbezwinglich 15 thätige Neugierde und ein unbegrenztes Verlangen nach kindischem Besit, das der Knabe mit wachsenden Jahren", bald auf diese, bald auf jene Weise, wie es die Kräfte seines kleinen Beutels erlauben wollten, zu befriedigen suchte. Zugleich aber bildete sich die Vorstellung von dem, was die Welt Alles 18 hervorbringt, was sie bedarf und was die Bewohner ihrer verschiedenen Theile gegen einander" auswechseln.

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Diese großen, im Frühjahr und Herbst eintretenden Epochen wurden durch seltsame Feierlichkeiten angekündigt, welche um desto würdiger schienen, als sie die alte Zeit, und was von dort her noch auf uns gekommen, lebhaft vergegenwärtigten". Am Geleitstag war das ganze Volk auf den Beinen, drängte sich nach der Fahrgasse, nach der Brücke, bis über Sachsenhausen” hinaus; alle Fenster waren beseßt3⁄4, ohne daß den

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