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Eindruck, den das Christentum (und das Judentum) 1) auf die Heidenwelt gemacht hat. Die Christen selbst haben bereits am Anfang des 2. Jahrhunderts ihre Gottesverehrung als die dritte Weise" bezeichnet (s. oben das aus der Praedicatio Petri gewonnene Zeugnis) und um das Jahr 240 rund erklärt: Wir sind das dritte Geschlecht der Menschen" (s. das Zeugnis der Schrift de pascha computus)2) - nun hat sich gezeigt, daß die Heiden ihrerseits diese Betrachtung aufgenommen haben, auch sie haben (und zwar schon vor 200) 3) die Juden als das zweite und die Christen als das dritte Geschlecht bezeichnet, und zwar aus demselben Grunde wie die Christen selbst: um der Art der Religion willen.

Das ist erstaunlich! Man ist doch nicht darauf gefaßt, daß sich für das römisch-griechische Bewußtsein die Juden so stark von den übrigen Völkern und die Christen von beiden abhoben, daß sie sich als selbständige ,genera" darstellten und in einer runden Formel so bezeichnet wurden. Eine größere Anerkennung konnten diese wie jene nicht erwarten), so wenig die Unterscheidung als Anerkennung gemeint war.

Eine Bekräftigung, daß die Trias, „Römer u. s. w., Juden, Christen", wirklich den Gegnern der Christen stets vorschwebte, bieten die Streitschriften gegen die Christen. Soweit wir solche kennen, befolgen sie sämt

polemischen Gebrauch gemacht hat und durch ihn der terminus in weitere heidnische Kreise gekommen ist. Aber gerade bei Minucius findet er sich nicht). Ich erinnere noch einmal an die chronologische Aufeinanderfolge der Erscheinungen: am Anfang des 2. Jahrhunderts nennt ein Christ (der Verfasser der Praedicatio Petri) die christliche Gottes verehrung die dritte Art"; im J. 197 sagt Tertullian: tertium genus dicimur"; im J. 242/3 schreibt ein römischer oder afrikanischer Christ (Pseudocyprian): „tertium genus sumus“.

1) Auch das Judentum; denn wir konnten oben nicht ganz sicher feststellen, daß eine Formel geläufig war, welche die Juden von allen anderen Völkern in Bezug auf ihre Gottesvorstellung und Gottesverehrung unterschied. Nun sehen wir es klar: Die Juden galten in dieser Beziehung als eine Größe für sich, als genus alterum".

2) Daß wir oben richtig vermutet haben, daß dem dritten Geschlecht gegenüber für Pseudocyprian die Römer usw. das erste Geschlecht sind und die Juden das zweite, ist nun klar.

3) Wie lange vorher, wissen wir nicht am Ende des 2. Jahrhunderts war jedenfalls die Bezeichnung schon ganz geläufig. Man kann daher schwerlich daraus ein Argument gegen die Echtheit der Epistula Hadriani ad Servianum (s. o.) entnehmen, daß sich hier die Dreiteilung findet: hunc [nummum] Christiani, hunc Judaei, hunc omnes venerantur et gentes". Aber die Bezeichnung der Römer, Griechen usw. als gentes" ist allerdings sehr bedenklich und verrät, wenn ich nicht irre, eine christliche Feder.

*) Durch Varro, das Genie der Klassifikation, war man zunächst in den litterarischen Kreisen daran gewöhnt worden, auch die Götter und die Religionen einzuteilen. Es mag sein, daß unter der Einwirkung seiner Schriften (mit denen sich auch Tertullian in seinen Traktaten ad nationes viel zu schaffen macht) zuerst bei den Gelehrten die Unterscheidung des Judentums und des Christentums als zweite und dritte Weise" aufkam und daß sie dann allmählich ins Volk gedrungen ist. Daß die bei den Ägyptern (s. o.) geläufige, ganz andersartige Unterscheidung von den drei yévn (Ägypter, Griechen, Juden) auf die neue Klassifikation von Einfluß gewesen ist, ist völlig unwahrscheinlich. Einmal geschaffen, mußte jene mit eigener Logik weiter wirken und Judentum und Christentum in ein Licht setzen, welches ursprünglich gewiß nicht beabsichtigt war: die drei Ringe, die drei möglichen Religionen! Merkwürdig, daß Tertullian im gleichzeitig geschriebenen Apologeticus nichts von dem genus tertium" sagt. War ihm die Sache den Statthaltern gegenüber nicht bedeutend genug?

lich das Schema: die Juden stechen bereits von allen anderen Völkern und Religionen ab und bilden, nachdem sie die Ägypter verlassen haben, eine häßliche Gattung für sich; von diesen Juden haben sich nun die Christen getrennt, das Schlimmste des Judentums beibehaltend und Widerlicheres und Abstoßenderes hinzufügend. So sind Celsus, Porphyrius und Julian in ihren Werken gegen die Christen verfahren. Celsus spricht von dem yévos der Juden und Christen, stellt beide yén in den schärfsten Gegensatz zu den übrigen Völkern, um dann zu zeigen, daß sich die Christen, als abgefallene Juden, von diesem yévos, das doch wenigstens ein Volk ist, noch zu ihrem Nachteil unterscheiden. Er charakterisiert die Christen (VIII, 2) als anotεzitorTES ἑαυτοὺς καὶ ἀπορρηγνύντες ἀπὸ τῶν λοιπῶν ἀνθρώπων, dabei ist doch alles bei ihnen nur Plagiat vom Plagiat und Kopie von der Kopie; an sich haben sie kein neues μáðnua (I, 4; cf. II, 5; IV, 14); nur weil sie von allem das Schlechteste zurückbehalten haben, stellen sie ein solches dar und infolge ihrer Haltung, nämlich des oraoiάšeir agòs tò zowóv.) Prophyrius — er ist wohl der antichristliche Polemiker, den Eusebius in der Praeparatio (I, 2) berücksichtigt) betrachtet zunächst die Christen als etwas Unmögliches, weil sie weder zu den Hellenen noch zu den Barbaren gehören wollen und gehören. Dann heißt es: καὶ μηδ' αὐτῷ τῷ παρὰ Ἰουδαίοις τιμωμένῳ θεῷ κατὰ τὰ παρ' αὐτοῖς προσανέχειν νόμιμα, καινὴν δέ τινα καὶ ἐρήμην ἀνοδίαν ἑαυτοῖς συντεμεῖν μήτε τὰ Ἑλλήνων μήτε τὰ Ἰουδαίων φυλάττουσαν. Also auch hier die Dreiteilung. Julian endlich (Neumann p. 164) befolgt ebenfalls die Unterscheidung: Ἕλληνες, Ἰουδαῖοι, Γαλιλαῖοι. Die Galiläer sind weder Hellenen noch Juden, sondern sind vom Judentum ausgegangen, haben sich aber auch von diesem losgesagt und einen Weg für sich eingeschlagen. Sie haben verworfen, was an schönen und bedeutsamen Lehren bei uns Hellenen und bei den auf Moses zurückgehenden Hebräern sich findet, von beiden aber für sich abgehoben, was diesen Völkern wie ein unheilvoller Dämon sich angeheftet hat, die Gottlosigkeit von der Leichtfertigkeit der Juden, ein leichtsinniges und lockeres Leben von unserer Sorglosigkeit und Gemeinheit."

Man sieht durchweg werden auf Grund der Religion Hellenen, Juden und Christen unterschieden, wenn sich auch die runde Formel das dritte Geschlecht nur im Abendland findet. Seit der Mitte des 3. Jahrhunderts lernten Kaiser und Reich dieses dritte Geschlecht von Religionsverehrern auch als „Volk“, als Staat im Staate kennen und fürchten. Das instruktivste Zeugnis ist in dieser Hinsicht das, was Cyprian (ep. 55, 9) von Decius berichtet: multo patientius et tolerabilius audivit levari adversus se aemulum principem quam constitui Romae dei sacerdotem". Das furchtbare Verfolgungsedikt dieses Kaisers ist zunächst die tatsächliche Antwort des Staats auf die Ansprüche des „neuen Volks" und auf die politische Betrachtung, welche Melito und Origenes empfohlen hatten. Die intensive Stärke der neuen Religion tritt sowohl in der Selbstbeurteilung „Neues Volk“, „Drittes Geschlecht hervor als in dem den Gegnern abgezwungenen Zeugnis, daß hier wirklich ein neues genus religionis neben den Religionen der Völker und des Judentums in die Erscheinung getreten ist. Für die extensive Stärke des Christentums läßt sich hieraus direkt wenig entnehmen; denn jene Beurteilung trat bereits zu einer Zeit hervor, wurde geltend gemacht und anerkannt, als die Christen noch eine numerisch nicht sehr große Gemeinschaft

1) Das Toitov Yéros, von welchem Celsus in ziemlich unklarer Weise V, 61 spricht, hat mit dem dritten Geschlecht nichts zu tun, das uns hier beschäftigt; denn es handelt sich dort um innerchristliche Unterscheidungen. 2) S. v. Wilamowitz-Möllendorf in der Zeitschr. f. neutestamentliche Wissensch. I, 2 S. 101 ff.

waren.) Aber für die Propaganda der christlichen Religion mußte es von höchster Bedeutung sein, daß sie sich so deutlich von allen anderen Religionen abhob und ein so hohes Selbstbewußtsein zur Schau trug.2) Freilich wirkte dies in weiten Kreisen auch abstoßend, aber es war doch ein Zeichen von Kraft, und der Kraft fehlt der Erfolg niemals.

Siebentes Kapitel.

Die Religion des Buchs und der erfüllten Geschichte.

Religion des Buchs im eigentlichen Sinn des Worts wie der Islam ist das Christentum nie gewesen und nie geworden (erst in viel späterer Zeit, im strengsten Calvinismus, drohte die konsequente Ausgestaltung der Religion des Buchs; indessen auch hier blieb doch die Glaubensregel das Steuer). Allein das Buch d. h. zunächst das Alte Testament übte doch eine Wirkung aus, die das Christentum bis an die Grenze brachte, Religion des Buchs zu werden. Paulus, richtig verstanden, wehrte freilich dieser Entwicklung, und große Kreise in der Christenheit Gnostiker und Marcioniten schritten sogar dazu fort, das Alte Testament ganz zu verwerfen, bez. es einem anderen Gott, sei es auch einem gerechten und vom höchsten Gott abhängigen, zuzuschreiben 3); aber in der großen Kirche lehnte man mit Entrüstung die Kritik der Gnostiker ab, und die komplizierte Stellung des Apostels Paulus zu dem Buche verstand man nicht. Es blieb, allegorisch erklärt, bei diesen Christen das heilige Buch wie bei den Juden, denen man es entreißen wollte.

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Diese Stellung zu dem Alten Testament ist wohl verständlich. Welche andere Religionsgemeinschaft konnte ein ähnliches Buch aufweisen! Wie überwältigend mußte der Eindruck bei Griechen, bei gebildeten und ungebildeten, sein und bleiben, nachdem man es kennen gelernt hatte! Mochten auch noch so viele Einzelheiten befremdlich oder anstößig sein - das, was belehrte und

1) Ganz unbedeutend können sie übrigens nicht gewesen sein; denn sonst wäre die Beurteilung unverständlich. Sie müssen doch mit den Juden an Zahl bereits rivalisiert haben.

2) Schon das Judentum verdankte seine Propaganda zu einem nicht geringen Teile seiner Apologetik und innerhalb der Apologetik der Selbstschätzung, die es entwickelte; s. Schürer, Gesch. des Volkes Israel III 3 S. 107 ff.

3) S. beispielsweise den Brief des Ptolemäus an die Flora und meine Abhandlung über ihn in den Sitzungsber. d. K. Pr. Akad. d. Wiss. 1902,

15. Mai.

begeisterte, wog sie reichlich auf. Allein schon das hohe Alter, und man steigerte es für einzelne Teile um Jahrtausende 1), entschied für seinen unvergänglichen Wert; das aber, was man in ihm las, erschien teils als eine Welt von Geheimnissen, teils als ein Kompendium der tiefsten Weisheit. Durch den unerschöpflichen Reichtum des Stoffs, seine Mannigfaltigkeit, Vielseitigkeit und Extensität, erschien es wie ein litterarischer Kosmos, eine zweite Schöpfung, der Zwilling der ersten. Das war sogar der stärkste Eindruck daß dieses Buch und das Weltganze zusammengehören. und dem gleichen Urteil unterliegen, war die verbreitetste Meinung unter den Griechen, die von dem Alten Testament berührt waren. Mochten sie über das Buch noch so verschieden denken daß es eine Parallelschöpfung zur Welt sei, so groß und umfassend wie sie, und daß beide Größen auf einen Urheber zurückgehen, erschien auch den Gnostikern und Marcioniten das Sicherste (die Großkirchenleute aber erkannten in diesem Gott den höchsten Gott selbst). Über welches andere Buch ist jemals in der Geschichte von denkenden Menschen ein ähnliches Urteil gefällt worden!

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Daß das Buch die Propaganda der Christen mächtig verstärkt hat, ist gewiß; vergebens reklamierten die Juden. Wir besitzen aber ein positives Zeugnis dafür, daß das Alte Testament die eigentliche Brücke zum Christentum für manchen gewesen ist. Tatian schreibt (Orat. 29): „Als ich ernstlich das, was frommt, erwog, fielen mir einige barbarische Schriften in die Hände, älter als die Lehren der Griechen und göttlicher als ihr Irrtum. Diesen gelang es, mich zu überzeugen, und zwar durch ihren schlichten Ausdruck und die unstudierte Einfalt ihrer Verfasser, durch die leichtfaßliche Darstellung der Weltschöpfung, durch die Vorkenntnis der Zukunft, durch die Vortrefflichkeit ihrer Verordnungen und weil sie die alles beherrschende Monarchie Gottes. lehren. So wurde meine Seele von Gott unterrichtet, und ich sah ein, daß die anderen Lehren zur Verdammnis führen, diese aber die in der Welt herrschende Knechtschaft lösen und uns den vielen Gewalthabern und unzähligen Tyrannen entziehen. Nicht bringen sie uns etwas, was wir nicht schon empfangen hätten, wohl aber etwas, was wir, obgleich wir es empfangen haben, durch den Irrtum verloren hatten." 2)

1) Triumphierend ruft Tertullian in dem Traktat de pallio aus: Bei euch geht die Geschichte nur bis zu den Assyriern; wir sind im Besitz der Weltgeschichte."

2) S. auch Justin, Dial. c. Tryph. 7f.: 'Eyévovτó tives пgò поžkov zoóvov πάντων τούτων τῶν νομιζομένων φιλοσόφων παλαιότεροι, μακάριοι καὶ δίκαιοι καὶ θεοφιλείς, θείω πνεύματι λαλήσαντες καὶ τὰ μέλλοντα θεσπίσαντες, ἃ δὴ

Die

Dieses Bekenntnis ist besonders ausgezeichnet, sowohl durch die Bestimmtheit, mit der es die Bedeutung des Alten Testaments für den Übertritt zum Christentum hervorhebt, als durch die Vollständigkeit und Klarheit der Gründe, die es anführt. Erstlich machte die Form des Buchs einen tiefen Eindruck: es ist charakteristisch für den Griechen Tatian, obschon er kein Grieche mehr sein will, daß die Form das Erste ist, was er hervorhebt. mächtige Sprache der Propheten und Psalmisten entzückte den Mann, der durch die Rhetoren- und Philosophenschulen gegangen war. Kraft gepaart mit Einfachheit das war es, was ihm das Buch so ganz anders erscheinen ließ als jene Traktate und ungeheuren Rollen, in denen sich die Autoren mühsam abquälten, über die höchsten Fragen ins Klare zu kommen. Das Zweite, was der Apologet nennt, ist der Schöpfungsbericht der Genesis. Auch das ist bedeutsam und wohlverständlich: alle griechischen Religionsphilosophen sind Kosmologen; hier war ein durchsichtiger und faßlicher Schöpfungsbericht gegeben. Er schien nicht wie Philosophie, und er schien auch nicht gewöhnlicher Mythus zu sein; es war eine ganz neue Gattung, zwischen und über beiden. Das kann nur Gott selbst gelehrt haben! Das Dritte, was Tatian imponiert hat, waren die Weissagungen des Buchs: ein Blick auf die altchristlichen Schriftsteller, besonders die Apologeten, zeigt, welche Rolle der Weissagungsbeweis gespielt, ja wie er alles beherrscht hat; nur vermittelst des Alten Testaments konnte man ihn führen. Das vierte Stück sind die Sittengebote; Tatian hat hier sicherlich in erster Linie an den Dekalog gedacht, der ja auch solchen Gnostikern, die sich kritisch zum Ganzen des Buchs verhielten, nur der Vollendung zu bedürfen schien, den sie also aus dem Übrigen hervorhoben.1) Der Dekalog hat den Heidenchristen stets als der Inbegriff der Moral gegolten, der nur durch die Sprüche der Bergpredigt zu vertiefen sei.) Das fünfte Stück endlich, welches der Apologet nennt, ist der strenge Monotheismus, der dem ganzen Buch das Gepräge gibt.

Damit sind in der Tat die Elemente genannt, die an dem Buch besonders wichtig erschienen und es zur göttlichen Urkunde stempelten. Überschaut man aber, welche Dienste es der christ

νῦν γίνεται· προφήτας δὲ αὐτοὺς καλοῦσιν· οὗτοι μόνοι τὸ ἀληθὲς καὶ εἶδον καὶ ἐξεῖπον ἀνθρώποις, μήτ' εὐλαβηθέντες μήτε δυσωπηθέντες τινά ... ἀλλὰ μόνα ταῦτα εἰπόντες ἃ ἤκουσαν καὶ ἃ εἶδον ἁγίῳ πληρωθέντες πνεύματι. συγγάμματα δὲ αὐτῶν ἔτι καὶ νῦν διαμένει κτλ. ... Ἐμοῦ δὲ παραχρῆμα πῦρ ἐν τῇ ψυχῇ ἀνήφθη καὶ ἔρως εἶχε με τῶν προφητῶν καὶ τῶν ἀνδρῶν ἐκείνων, οἱ εἰσι Χριστοῦ φίλοι.

1) S. den Brief des Ptolemäus an die Flora.
2) Vgl. die Apostellehre".

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