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III.

More's Steigen in der königlichen Gunst big zur Gesignation.

1. More am Hofe Heinrichs VIII.

Die neue Lage, in welche Sir Thomas durch seine Beförderung verseßt wurde, schildert er in einem Briefe an den Bischof von Rochester, John Fisher, der ihm zu seiner Erhöhung Glück gewünscht, folgendermaßen 1).

« Aeußerst ungern bin ich an den Hof gekommen, wie dies Jedermann weiß und der König mir selbst im Scherze vorzurücken pflegt; deshalb benehme ich mich daselbst ge= rade so ungeschickt, als wie einer, der, des Reitens nicht gewohnt, schlecht im Sattel sißt. Aber der König ist gegen Alle so herablassend und gütig, daß Jeder sich einbildet, Seine Majestät habe gerade ihn am liebsten. So etwa ergeht es den Londoner alten Weibern, die da meinen, wenn sie vor dem Muttergottesbilde, unfern dem Lower, recht brünstig gebetet haben, die heilige Maria lächle gnädig auf sie herab. Doch bin ich nicht so glücklich, solche vortheilhafte Zeichen für mich zu erspähen, um des Königs Liebe zu verdienen. Je mehr ich dessen Lugend und Gelehrsamkeit beobachte, desto weniger erscheint mir das Hofleben drückend und lästig.

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In der That war Heinrich VIII. ein Fürst, der bei seiner Thronbesteigung die größten Hoffnungen auf eine glückliche und selbst glänzende Regierung erregt hatte.

Einer der schönsten Männer seiner Zeit, mit wahrhaft königlichem Aeußeren 2), in allen ritterlichen Uebungen gewandt, freigebig, verschwenderisch, durch die Hinrichtung der verhaßten Räthe Empson und Dudley Volksbeliebt, ward er in den ersten Jahren vom englischen Volke um so mehr hochgepriesen und bewundert, als die Regierung eines jungen, lebenslustigen und gebildeten Fürsten wohlthuend abstach gegen den Geiz und das Mißtrauen, den Druck und die Willkühr seines Vorgängers und Vaters. Kaum eines der regierenden Häupter war so gelehrt erzogen worden, als Heinrich VIII. 3). Darum harrten mit Sehnsucht alle Gelehrten Englands und des Continents auf seine Erhöhung. Jest sey für die Freunde der Literatur die goldene Zeit gekommen, Heinrich die Hauptstüße der Wissenschaften, sein Hof die Bildungsschule junger Fürsten 4). Seine Umgebung bildeten die gelehrtesten Männer des Reiches 5).

Sicher ist Heinrich VIII. ein Herr von großen Fähigkeiten und nicht geringen Kenntnissen gewesen; aber die Wissenschaften konnten ihre wahre und wohlthätige Wirkung die Erhaltung und Beförderung des Moralischen auf ein Gemüth nicht erstrecken, welches frühzeitig durch das Gift der Schmeichelei verdorben wurde, und das in seinem leidenschaftlichen Ungestüme keine Fesseln ertrug.

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Eine Folge des beständigen Lobpreisens von des Königs Gelehrsamkeit und Lalenten war dessen Eitelkeit, und der Glaube an seine eigene Unfehlbarkeit im Felde der Wissenschaften so gut, wie in der Politik.

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Die Begierden eines feurigen, jugendlich schönen und ritterlichen Mannes auf dem Throne, dem noch dazu der bedeutende Schaß seines Vaters zu Gebote stand, hatten, da Niemand Mahnung oder Widerspruch wagte, ungehindert ihren Lauf 6). In unausgeseßten Festlichkeiten und Geprängen verflogen gleich Zaubergold Heinrichs VII. aufgehäufte Geldsummen. Heinrich VIII. selbst wachte eifersüchtig über seine Rechte als Regent, und hatte in Folge der von seinem Vorgänger festgeseßten und durchgeführten Grundsäße eine übertriebene Meinung von der Königswürde, welcher gegenüber es nur Demuth und Unterwürfigkeit gab. Troß allen Zerstreuungen indessen ließ er sich doch nicht von seinen Regentenpflichten abwendig machen, wohnte dem Rathe bei, durchlas Depeschen, ertheilte seinen Heerführern und Bothschaftern Befehle, und selbst der allgewaltigste Minister Wolsey wagte nichts zu unternehmen, ohne seines Herrn Willensmeinung erst erholt zu haben 7). Denn darin beurkundete er sich hauptsächlich als Herrscher, daß er eine kluge Wahl seiner Räthe traf, und selbst die gewandtesten und geistreichsten Männer seines Cabinettes im vollkommenen Gehorsam zu erhalten wußte 8). Wären seine Leidenschaften ihm so unterwürfig gewesen, als sein Volk, er müßte der unumschränkteste Monarch geworden seyn. Unter Heinrichs VIII. Hauptfehlern steht die Wollust oben an 9). Zwar seine beiden Zeitgenossen, Franz I. und Carl V., waren ebensowenig sündenfrei in diesem Punkte 10), aber bei Keinem hat diese Leidenschaft eine so fürchterliche Stärke erlangt, und war der Ruhe der Völker so verderblich geworden, wie bei Heinrich von England. Der Glaube an seine überwiegende Gelehrsamkeit und Talente, an seine durch

gängige Unfehlbarkeit, kurz, seine Eitelkeit, im Vereine mit seinen hohen Ansichten des Königthums brachte Verwirrung über sein Reich. Um diese Zeit, als More an den Hof gezogen wurde, blickten alle Britten und die Nationen des Auslandes auf den König Heinrich VIII. wie auf ein erhabenes Licht in Wissenschaft und Politik. Seine Stellung in Bezug auf die Angelegenheiten des Festlandes, in welche er sich mehr als alle seine Vorgänger mischte, war von der Art, daß Frankreichs und Spaniens Herrscher um seine Gunst buhlten, und er sich selbstgefällig als den Schiedsrichter Europa's betrachtete. Noch waren die übel verdeckten Leidenschaften der Wollust und Eitelkeit, welche eine furchtbare Willensstärke doppelt gefährlich machte, nicht in ihrer Schrecklichkeit losgebrochen; sie sollten es erst bei Gelegenheit der Ehescheidungsgeschichte. Darum galt er überall als der gefeierte Monarch. Aber durch dieselbe, zur Vernichtung jeglichen Widerspruches, zum BlutvergieBen fortgerissen, opferte er gewissenlos und ohne Reue seiner Unterthanen Leben hin. Denn was er, der König, für Recht hielt und aufstellte, das sollte Allen in seinem Reiche gleichfalls als solches gelten. Den dawider Handelnden traf der Lod, und rücksichtslos verzehrte ein und derselbe Scheiterhaufe Lutheraner wie Papisten. Er stürzte des Papstes Macht in England, führte dagegen den drückendsten Despotismus ein, der sich nicht begnügte, die bürgerlichen Freiheiten niederzutreten, sondern der selbst den religiösen Gefühlen, den innersten Gedanken auf die empörendste Weise ihre Richtung vorzeichnete 11). Deshalb heißt er in den leßten vierzehn Jahren seiner Regierung mit Recht ein vollendeter, bluts triefender Tyrann, das Parlament ein Haufe ver

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worfener Sklaven, verachtete Werkzeuge in der Hand des grimmigen Zuchtmeisters aller Britten 12).

In die Dienste eines solchen Fürsten war More auf die Veranlassung des obenerzählten Rechtsstreites getreten. Er kannte seinen Gebieter aus früherer Zeit, und hatte ihm nach Heinrichs VII. Lode zur Chronbesteigung Glück gewünscht. Mit ganz Europa achtete und bewunderte er den Eifer für Wissenschaft, die Gelehrsamkeit, und die übrigen blendenden Vorzüge des Königs. Jeßt aber, der Person des Herrschers näher gebracht durch seine Stellung als königlicher Rath, durchschaute Sir Thomas gar bald Heinrichs VIII. Charakter, und ob auch Alle vom Scheine sich täuschen ließen, und nichts Arges wähnend die Ruhe dieses Vulkans für natürlich und bes ständig hielten, so reichte doch eine kurze Zeit des aufmerksamen Beobachtens hin, ihn zu überzeugen, auf welch gefährlichem Boden er sich befinde 13). Daher sein beständiges Mißbehagen an Hofämtern, welche ohnehin seiner Liebe zur Unabhängigkeit und Muße nicht zusagten, daher der stete Wunsch, dieselben abzulegen, und seine unverholene Freude, da der König ihn seiner Stelle als Kanzler entband. Es war das Gefühl, sein ganzes Wesen sey mit den Anforderungen und dem kecken Vortreten der Leidenschaften des Königs unvereinbar.

Daß die schönen Wissenschaften dem Sir Thomas in seiner neuen Sphäre noch ebensosehr am Herzen las gen, als vordem, beweist der lebhafte Antheil an seines Freundes Erasmus Angelegenheiten, und die Streitig, feit mit Dorpius und Bririus. Seine eigenen literarischen Verdienste hatten nicht wenig zu seiner Erhöhung bei einem Könige mitgewirkt, der sich von allen Gelehrten Europa's als die Stüße und der Stolz der Wissens

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