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tion ins Auge. Leider war diese von solcher Beschaffenheit, daß sie selbst Vielen derjenigen, die an Ort und Stelle beobachteten, von verderblichen, die bestehende Ordnung der Dinge umkehrenden Wirkungen erschien. Um eine solche Ansicht gerechtfertigt zu finden, denke man sich nur die plögliche Vernichtung der geistlichen Macht, an deren Stelle mit eis nemmale die weltliche trat, die Einziehung der Kirchengüter zum Vortheile der Fürsten, und die aufgeregten Leidenschaften der Menge; so daß Sir Chomas zur Ueberzeugung kam: Die Grundsäße Luthers und seiner Parthei seyen für alle Staaten, in denen sie Eingang fänden, im hohen Grade gefährlich. Die altherkömmlichen Staats- Einrichtungen, im genauen Zusammenhange mit der Hierarchie, geriethen durch die Neuerungen in ein furchtbares Gedränge, welches der Kirche, wie der weltlichen Macht gleichmässig den Untergang drohte 12). Der Welt schien in Folge dieser Reformen, die nichts weniger, als von moralischguten Menschen ausgingen 13), das Aeußerste bevorzustehen 14). Das Niederschmettern der päpstlichen Gewalt, worüber sich die Fürsten aus Gründen der Habsucht erfreuten, konnte mit schreckender Consequenz weiter getrieben werden 15). Wie, wenn das gereizte Volk der Fürsten Joch abschüttelte, sie aus ihren Besizungen triebe, und trunken vom Blute der Könige und der Edlen nicht einmal mehr bürgerliche Obrigkeiten dulden wollte, und Zaum- und Geseßlos sich unter einander selbst erwürgte? - Ich bitte Christum, meine Weissagungen zu Schanden werden zu lassen, was geschehen kann, wenn die Menschen zur Vernunft wiederkehren und die aufkeimenden Uebel unterbrücken.

Im Gegentheile fürchte ich, wider meinen Willen nur allzu wahr prophezeiht zu haben. Dahin führen Luthers Lehren. Dies wird Leutschland erleben!»

So sprach sich More zu einer Zeit aus, wo die Gräuel des Bauernkrieges noch nicht gewüthet. Die Bilderstürmereien und andere Ausschweifungen des Pöbels, welche Luthers Gegner alle auf dessen Rechnung seßten, waren übrigens wenig geeignet, ihn hierüber auf vortheilhaftere Gesinnungen zu bringen. Die beispiellose Grausamkeit, mit welcher Rom, die Hauptstadt der abendländischen Christenheit, von den Kaiserlichen behandelt wurde, schrieben Viele, unter ihnen auch Sir Thomas, den Anhängern der lutherischen Lehre zu. Wirklich sind Ausschweifungen von Leuten, die sich Lutheraner nannten, bei jener schauderhaften Plünderung Roms kaum zu läugnen 16). « Den Baum sollt ihr an seinen Früchten erkennen. Alle Uebelthaten kamen von Gliedern jener Sekte, und müssen ihr zugerechnet werden, denn ihre Lehre lehrt und giebt Gelegenheit zu solchen Missethaten » 17).

Die Fürsten aber sind um die eigene und ihrer Völker Erhaltung willen verpflichtet, diese Keßer nach aller Schärfe des Gesezes zu bestrafen; denn gelinde Behandlung macht sie nur desto kühner, und die Folgen sind Aufruhr, Empörung und offener Krieg recht in den Eingeweiden ihrer Länder; was Alles gleich anfänglich durch Bestrafung der Rädelsführer vermieden werden kann » 18).

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Auf solche Weise machen die Ausschweifungen dieser Sekte nothwendig, die Keßereien mit den härtesten Strafen zu belegen, wo man sonst gelindere Mittel würde angewendet haben 19). Daher ist das Verbren

nen der Neuerer geseßlich, nothwendig und wohlgethan: aber nicht der Clerus hat sich damit zu befassen, sondern nur allein die politische Vorsicht der weltlichen Regierung » 20).

«Jederzeit haben sich die Feinde des christlichen Glaubens als Gegner des heiligen Stuhles erwiesen 21). Werden aber der Menschen Fehler dem Amte aufgebürdet, wie denn das Papstthum mit den fürchterlichsten Ausdrücken von den Lutherischen belegt wird; so ist es nicht allein um dieses, sondern auch um das Königthum, überhaupt um alle obersten Behörden geschehen, und das Volk findet sich Ordnungsund Geseßlos; und doch ist es besser, schlechte Lenker des gemeinen Wesens, als gar keine zu haben. Klüger ist es darum, die Päpste zu verbessern, als sie gänzlich abzuschaffen; wir wünschen, Gott möge nur solche Individuen auf den heiligen Stuhl befördern, die im Gefühle ihrer apostolischen Würde, Ehre und Reichthum dieser Erde verachtend, nur auf das Ueberirdische sehen, beim Christenvolke die Frömmigkeit befördern, überall Frieden stiften, und das ihnen von Gott anvertraute Ansehen gegen die übermüthigen, tyrannischen Großen dieser Erde gebrauchen. »

Nichts kann uns ferner entschuldigen, den rechten Glaubens - Pfad zu verlassen; denn unser Glaube ist uns von Gott gelehrt worden, und die Punkte desselben sind nicht neu, sondern haben sich so viele Jahrhunderte hindurch in der großen Congregation des christlichen Volkes forterhalten, als sichere, feste und über alle Zweifel erhabene Lehren, die kein Keßer abzuläugnen vermag 22). Deshalb nun ist derjenige anklagbar, welcher das Gegentheil glaubt von irgend einem Saße, den

die Kirche Christi durch Gott zu glauben lehrt. Im Falle einer Versuchung möge sich nur der Versuchte erinnern, daß derjenige Mann, welcher ihn Neues lehren will, nicht so gelehrt und tugendhaft sey, als Augustin, Hieronymus, Cyprian c. »

Die frühzeitig entstandenen Spaltungen in den jungen Kirchen selbst sprachen eben nicht sehr zum Vortheile ihrer Lehren; da jede der uneins gewordenen die Wahrheit ihrer Dogmen ausschließend für sich in Anspruch nahm, und die neue Gegnerin der Irrthümer beschuldigte. Dieser Widerstreit unter sich erhielt viele bereits wankend gewordene Gemüther dem alten Kirchenglauben, der seit so vielen Jahrhunderten unerschüttert derselbe geblieben war, und ihren Vorältern Trost und Beruhigung gewährt hatte.

Eine solche Ansicht hatte Sir Thomas von den durch Luther festgestellten Religions - Neuerungen und deren Wirkung sich gebildet. Er fand, wie gesagt, diese Lehren für Staat und Kirche gleich nachtheilig; alle Moralität aber zerstörend den Grundsaß vom nicht freien Willen, wodurch Seelenheil und Seelenverderbniß der Destination zugeschrieben werden, und alles Verdienstliche guter Werke aufhört 23)!

Die Heuchelei, äußerte er ferner, haben die Kezer zwar abgethan, aber an deren Stelle die Schamlosigkeit geseßt, so daß diejenigen, welche vorher die Frommen spielten, nun frech sich ihrer Gottlosigkeit rühmen 24).

Seine Auszeichnung am Hofe Heinrichs VIII., die ungemeine Achtung, welche er bei seinen Landsleuten um seiner Gelehrsamkeit und Biederkeit willen genoß, machten eine offenkundige Darlegung seiner Abnei

gung gegen die Reformation nothwendig; denn wie war es möglich, in solcher Stellung die Resultate seiner gewonnenen Ueberzeugung dem großen Publicum länger vorzuenthalten? Bald indessen sollte er Gelegenheit finden, unumwunden sich hierüber auszusprechen. Sobald er einmal im großen Streite Parthei genommen, war er nicht gesonnen, da zaghaft zu schweigen, wo Alles ihn reden hieß; und, was er äußerte, es ging aus seiner vollesten Ueberzeugung hervor, welche keine irdischen Rücksichten zu bestimmen vermochten. « Wie, hört man Viele in Verwunderung ausrufen, Sir Thomas, der freisinnige Verfasser der Utopia, der rüstige Bekämpfer so vieler Mißbräuche in Kirche und Staat, der Feind alles faulen, privile girten Gesindels, tauscht mit einem Male die Rolle, und wird aus einem geistvollen Ladler des Aberglaubens und pfäffischer Allgewalt der eifrigste Vertheidiger fast aller Dogmen und Gebräuche der römischen. Kirche? - Konnte ein solcher Mann, der seinen Leistungen nach billig den Vorläufern der Reformation beigezählt werden dürfte, seinen früheren gesunden Meinungen so durchgängig untreu werden, um jeßt zur Fahne des Obscurantismus zu schwören? Durch welche Umwälzung in seinem Innern wurde dies wohl herbeigeführt? »

Fassen wir dagegen scharf und partheilos ins Auge, was der Zweck der Utopia ist! — Ruhe und Unterhaltung nach lästigen Geschäften, plößliche Verseßung aus seiner Umgebung in eine von dieser gänzlich verschiedene Welt, sich und seinen Freunden zur geistreichen Ergößung, mit unter ein gedeihliches Wort über die Mittel und Wege, so Manches im

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