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ren und Vorschriften, brauchbar im Kampfe mit seinen Neigungen, an die Hand geben können, als der stets rüstige Streiter Colet? Auch ehrte More seinen Führer auf dem Pfade der Tugend stets auf die ausgezeichs neteste Weise, und es erleidet keinen Zweifel, daß More feine Gedanken, die Welt zu meiden, diesem werde dargelegt haben. Colets Lebenswandel bestärkte ihn noch mehr in der Verachtung des Irdischen; ja, wir besitzen noch einen Brief More's an seinen geistlichen Freund, worin die Sehnsucht nach dessen Umgang 16) und die Geringschätzung der Freuden dieser Welt rührend und anziehend geschildert ist, und der, da er eine richtige Vorstellung von den Beziehungen Beider zu einander, so wie von More's Gemüthsstimmung giebt, hier eine Stelle finden mag 17).

« Als ich neulich auf dem Marke mich erging, müßig unter dem Getreibe fremder Geschäfte, traf ich deinen Diener, dessen Anblick mich sehr erfreute, einmal weil ich immer viel auf ihn gehalten, sodann hauptsächlich), weil ich von seiner Ankunft auf die deinige schloß. Allein sein Bericht, du seyest nicht nur nicht zurückgekehrt, sondern werdest auch noch lange nicht wiederkommen, verwandelte plößlich meine Freude in ebenso große Trauer: denn was kann für mich schmerzlicher seyn, als deines angenehmen Umganges beraubt zu seyn? -Des Freundes zu entbehren, dessen so weise Rathschläge ich genoß, dessen süße Traulichkeit mich erquickte, dessen gehaltvolle Predigten mich zur Tugend anspornten, durch dessen Beispiel und Lebenswandel ich erbaut und gebessert, dessen Antlig und Gebehrden endlich mich schon zu beruhigen pflegten? Wie ich nun früher durch alle diese Schutzmittel mich höchlich gestärkt fühlte, so bemächtigte sich meiner nach deren Entziehung eine ungemeine Kraftlosigkeit; und da ich vorher immerhin deinen Fußtapfen folgend, gleichsam dem Rachen der Hölle entronnen war, so stürze ich jetzt, gleich der Euridice jedoch auf entgegengeseßte Weise, denn Euridice verschlang der Orcus, weil Orpheus auf sie zurückblickte, ich aber stehe in gleicher Gefahr, weil Du nicht auf mich zurücksiehst -in die alte Nacht der Schatten zurück. Denn welche Ans lässe zu einem tugendhaften Leben bietet wohl die Stadt dar? Rufen und ziehen nicht den auf dem beschwerlichen Tugendpfade Wandelnden tausend Reizungen und Verführungen davon ab? - Wohin du dich

Wohin du dich wendest, triffst du ihr süßes Gift. Hier das Gemurmel grausamen Hasses, dort der Lärm des Haders und des Streitens; wohin dein Auge fällt, was gewahrt es anders, als Leute 18), die dem Bauche dienen, und der Welt und ihrem Fürsten, dem Teu: fel. Selbst die Häuser rauben uns einen guten Theil des Lichtes, und lassen und den Himmel nicht frei bes schauen, welchen die Giebel verdecken. Ich bin darum billiger gegen dich, weil dir der ländliche Aufenthalt ges fällt, denn dort findest du noch leute voll Einfalt, unbes kannt mit städtischem Truge; wo du hinblickest, eine dem Auge angenehme Gegend, die gemäßigte Beschaffenheit der Luft erquickt, des Himmels Anblick vergnügt dich. Dort siehst du nichts, als die gütigen Gaben der Natur und heilige Kennzeichen der Unschuld. Doch! alle diese Freuden sollen sich nicht in dem Grade fesseln, daß sie dich von der Beschleunigung deiner Rückkehr zu uns abhalten; mißfällt dir die Stadt, so bietet Stepney 19) nicht geringere Vorzüge dir dar, als der Ort deines jeßigen Aufenthaltes. Von da aus fannst du zuweilen nach der Stadt gehen wo du große Gelegenheit, dir Verdienste zu erwerben, findest, daselbst gleichsam wie in deinem

Absteigequartier einzukehren. Auf dem lande sind die Leute meist unschuldig oder doch nicht so arg in die Neße grober laster verstrict, so daß die Hand eines jeden Arztes nugbringend ist. In der Stadt dagegen kann sowohl wegen der ungeheuren Größe, als auch um der eingewurzelten Gewohnheit der Sünden willen, nur der erfahrenste aller Aerzte helfen. Zwar betreten die kans zel der St. Paulskirche Männer, welche Heilung verspres chen, aber wie prächtig audy ihre Worte tönen, so reizen sie eher die Wunden, als daß sie deren Schmerz stillen, weil ihr leben mit ihren Worten im Widerstreit steht: denn nimmer werden jene die Leute überreden, sie seyen in Heilung Anderer geschickt, während sie doch selbst frank und gebrechlich sind, und mit Recht verabscheut man die Behandlung einer Krankheit durch Senen, der selbst mit Schwären bedeckt ist. Vermag aber nur der Arzt sichre Hülfe zu bringen, zu welchem der Kranke Zutrauen hegt, so leidet es wohl feinen Zweifel, daß Du allein es bist, welcher die ganze Stadt zu heilen im Stande ist. Daß Jeglicher von Dir sich behandeln läßt, unbedingtes Vertrauen auf Dich reßt und Folgsamkeit leistet, weist Du zur Genüge von früher her, und das allgemeine Verlangen nach Deiner Person thut dir es fund. So fomm denn endlich, mein Solet, entweder um Stepney's wils len

oder auch Deiner Vaterstadt zu liebe, die Dir eben so am Herzen liegen soll, als Deine Aels tern 20). Endlich laß Dich obschon dies der geringste Beweggrund zur Rückkehr seyn soll

meinetwillen zum Wiederkommen bewegen, ich, der ich mich gänzlich Dir ergeben, und Deiner Ankunft sehnlichst entgegen harre. Inzwischen will ich mit Grocyn, linacre und lilly meine Zeit zubringen. Ersterer ist, wie Du weißt, in

Deiner Abwesenheit mein Beichtvater, der andere mein Lehrer, der dritte mein werthester Genosse. lebe wohl und liebe uns, wie bisher! London 21. October. »

Die ungemeine Achtung More's vor Colet's stars kem und frommem Sinn war es also, die ihn vermochte, das Heil seiner Seele der Leitung desselben zu übertragen. Colet dagegen hatte von More's Talenten die vortheilhafteste Meinung gefaßt. Oft äußerte er in vertrauten Gesprächen, sagt Erasmus 21), England besitze nur ein einziges Genie, hiemit More'n meinend - da doch diese Insel einen großen Ueberfluß an Männern von den ausgezeichnetesten Fähigkeiten aufzuweisen hat.

Seinen Gesinnungen nach konnte der Decan der Absicht More's, sich der Welt und ihren lockungen zu entziehen, nicht entgegen seyn, er, der selbst in die Ruhe eis nes Klosters zu flüchten gedachte; aber er begriff aud), durch eigene Erfahrung belehrt, die Schwere des Rampfes, den sein Freund, jugendlich kräftig an leib und Seele, zu durchkämpfen hatte, wollte er seinen Plan durchführen, und in seiner Eigenschaft als Beichtvater unters stüßte er ihn auf dem schwierigen Pfade durch Wort und That 22). In seinem Vorhaben stand More'n sein Ges nosse William lilly an der Seite, der gleichfaus der Welt entsagend den Wissenschaften und der Beschauung Leben wollte 23).

Beide hatten sich den Orden des heiligen Franciscus ausersehen 24). Aber Beide sollten den Glanz ihrer Tas lente nicht hinter den Mauern eines wenig gefannten Klosters verbergen, denn ein größerer Wirkungskreis war ihnen von der Vorsehung angewiesen. Sey es nun, daß die Ausartung der englischen Mönche von ihrer ursprünglichen Bestimmung 25), More'n von seinem Vorhaben zurückschreckte, oder wie Erasmus mit mehr Wahrscheinlichkeit berichtet 26), daß die Sehnsucht nach einer Gattin, welche zu unterdrücken er nicht im Stande war, ihn andern Sinnes über seinen geistlichen Beruf werden ließ; genug! er wandte sich wieder zum weltlichen les ben, mit ihm sein Genosse Lilly 27). Hierin erzeigte er fich weiser, als so viele Andere, welche das beschwerliche Priesteramt erwählen, ohne sich vorher geprüft zu haben, denn er wollte lieber ein feuscher Ehegatte, als ein Brunstleidender Priester seyn 28).

More, auf solche Weise der Welt wieder gegeben, war nunmehr darauf bedacht, sich auf seiner neuen Lebensbahn einen Mann zum Muster und Vorbild auszuwählen, der durch Tugend und Gelehrsamkeit gleich ausgezeichnet wäre. Er glaubte, im Leben des Grafen Johann Piz cus von Mirandola 29) weit berühmt um seiner groBen Kenntnisse und seines tadellosen Wandels willen, ein würdiges Object seines Nacheifers gefunden zu haben, und überseşte daher dessen Lebensgeschichte aus dem Lateinischen in seine Muttersprache 30).

Kaum bedarf es der Erwähnung, daß Colet um die neue Sinnesänderung seines Beichtfindes wußte und selbe gut hieß 31).

Gleich nach diesem Zeitpunkte finden wir More auf einer kurzen Reise nach dem Auslande. Was ihn hiezu bewogen habe, ob die Sitte edler brittischer Jünglinge 32) durch Reisen den Geist auszubilden und den Kreis ihrer Kenntnisse in aufmerksamer Beobachtung fremder Völker und Länder zu erweitern, oder ob vielleicht die fortdauernde Ungnade des Königs und seiner Minister ihn zu solcher Entfernung aus der Heimath gezwungen, ist schwer zu sagen 33). Sicher ist es, daß er nach seiner eige:

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