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wieder Sizung; More rief den Dieb zuerst auf, um sich des beschuldigten Verbrechens wegen zu verantworten. Er habe, sprach dieser, hinlängliche Gründe zu seiner. Rechtfertigung, doch könne er dieselben nur Einem der Richter insgeheim ́anvertrauen, und bitte deshalb, einen aus der Zahl wählen zu dürfen. Natürlich wählte er den alten Richter. Dieser trug die wohlgefüllte Geldtasche nach damaliger Sitte am Gürtel. Während nun der nahegetretene Dieb ihm ins Ohr flüsterte, schnitt er geschickt und behend des Richters Lasche ab, gab More’n das Zeichen und zog sich bescheiden auf seinen Play zus rück. More ergriff die Gelegenheit, die Bank für einen zum Tode Verurtheilten zu einem Allmosen zu bewegen und begann zuerst, des Beispiels wegen, seine Gabe abs zuliefern. Als die Reihe an den alten Richter kam, war er nicht wenig erstaunt, sich ohne Börse zu finden, und betheuerte höchlich, er habe heute Morgen seine Geldtasche mit zur Sigung gebracht. « Was, rief More, wollt Ihr etwa Uns dieses Diebstahles zeihen? » Zorn und Scham bemächtigten sich des Alten, da rief More den Dieb, befahl ihm, den Beutel herauszugeben, und sagte zu seinem Collegen, ins Künftige möge er die Leute ihrer Nachlässigkeit wegen nicht mehr ausschelten, da er selbst nicht einmal in öffentlicher Sizung seiner Geldtasche sicher sey 17).

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Jene Munterkeit, die den Sir Thomas in die Gerichtshallen begleitete, war hauptsächlich zu Hause bei seinem Weibe und den Kindern recht wirksam, und theilte sich seiner ganzen Umgebung mit 18). Johanna hatte ihm während ihrer 6 jährigen Ehe 19) fast jedes Jahr ein Kind zur Welt gebracht, jedoch nur vier blieben am Leben: drei Löchter nämlich und ein Sohn. Mar

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garetha hieß die Erstgeborne 20), die nachmals mit William Roper sich vermählte und welche Erasmus und andere Gelehrte um ihrer tiefen Kenntnisse willen hoch ehrten 21). Die zweitälteste war Elisabeth, die dritte Cäcilia; der Sohn, Johann mit Namen, der jüngstgeborne; er ist der Großvater des Thomas More, der seines Urgroßvaters Lebensgeschichte bes schrieb 22).

Nachdem sein Eheweib ihm diese vier Kinder geboren, starb sie kurze Zeit darauf 23). Er konnte nicht lange Wittwer bleiben und heirathete daher wenige Monate 24) nach dem Hinscheiden seiner Frau eine Wittwe, Namens Alice Middleton 25), mit welcher er jedoch keine Kinder zeugte 26). Zu dieser Ehe schritt er, nicht etwa von unreinen Begierden getrieben, sondern darum, daß sein Hauswesen gehörig besorgt, und die zarte Jugend seiner Kinder gepflegt werden möchte; denn Alicia war nach More's eigener scherzhaften Aeußerung weder schön noch jung 27), wohl aber eine thätige, wachsame Hausfrau, und einer solchen war er bei seinen Geschäften, die ihn meistens außer dem Hause hielten, gar sehr benöthigt. Uebrigens lebte er mit ihr, nach des Erasmus Zeugniß 28), so vergnügt, als wäre sie das schönste Weib. More 29) erzählt die Art und Weise, wie sein Urgroßvater zur zweiten Frau gekommen sey, folgender Gestalt. Sir Thomas sollte um die Hand der weder schönen. noch reichen Wittwe für einen seiner Freunde werben, und dachte auch nicht entfernt daran, sie für sich selbst nehmen zu wollen. Alicia, welcher More's Beredsamkeit und einnehmendes Wesen gefallen zu haben scheint, gab ihm zu verstehen, er würde, wenn er für sich um sie werbe, geneigtes Gehör finden. More hinterbrachte

dem Freunde der Wittwe Antwort, und mit dessen Ges nehmhaltung heirathete er sie, damit selbe seinen Kindern eine liebreiche und sorgsame Mutter werde. Troß ihres vorgerückten Alters, ihres wenig sanften Charakters und der großen Aufmerksamkeit für das Hauswesen 30) wußte er sie dennoch dahin zu bewegen, mehrere Instrumente 31) spielen zu lernen, und täglich eine vorgeschriebene Aufgabe zu lösen. Kaum wird ein Ehemann durch Befehle und Strenge solche Folgsamkeit von seiner Gattin zuwegebringen, als More von der seinigen durch Scherze und Schmeicheleien.

Es dürfte zweckmäßig seyn, schon hier 32) die Bes schreibung der Person des Sir Thomas zu geben, damit dessen Bild bei dem, was er in Wort und That Ausgezeichnetes geleistet, uns immerdar in voller Lebendigkeit vor Augen schwebe, und dadurch der Eindruck der nachfolgenden Darstellung seines interessanten Lebens möglichst erhöht werde.

Erasmus pflegte nicht selten geistreiche Schilderungen seiner Vertrauteren für Männer zu entwerfen, welche sich durch Wissenschaft und Bildung hervorthaten 33). Wir besigen noch ein solch köstliches Gemälde von More's Personalität und Charakter, welches er auf Ersuchen Ulrichs von Hutten in einem Briefe an diesen Ritter, Antwerpen den 23. Julius des Jahres 1519 vers fertigte 34). In der That! Kaum konnte Jemand die Persönlichkeit More's, die Anmuth seines Umganges, den Werth und die Uneigennüßigkeit seiner Freundschaft, die schönen Beziehungen zu seiner Familie so wohlunterrichtet, wahr und beredt schildern, als gerade Erasmus, dem ein mehrjähriger Auf

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enthalt bei und um More die genaueste Bekanntschaft hierin erworben hatte.

Dieser Schilderung zufolge war Sir Thomas von mittlerer Statur; alle Glieder seines Körpers standen im gehörigen Ebenmaße, nur die Hände waren im Vergleiche mit der übrigen Gestalt etwas plump 35). Die rechte Schulter erschien beim Einherschreiten höher als die Linke, nicht weil er von Natur also gebaut, sondern aus Angewöhnung 36). Seine Gesichtsfarbe ist eher weiß, als bleich zu nennen, ein zartes Roth schimmert überall durch, die Haare sind weder dunkel noch blond, sondern halten zwischen beiden Farben das Mittel, die Barthaare spärlich, die Augen grau und gesprenkelt 37), ihr Blick ist ruhig und durchdringend; die Nase etwas stark, der Mund mäßig, mit fein gezogenen Lippen, das Kinn rund und gedrungen 38). Seine Stimme ist weder stark noch schwach, sondern leicht vernehmbar, sie hat nichts Singendes noch Weiches, sondern ist die eines Mannes, der da redet, deutlich, vernehmbar, weder zu schnell, noch stockend. Niemand hält mit mehr Glück Reden aus dem Stegreife, als More, so sehr unterstüßt seine glücklichen Anlagen ein glückliches Organ. Er ist stets und in allen Lagen besonnen, sein Gedächtniß treu, und da er Alles bei sich überlegt und geordnet hat, so paßt seine Rede schnell und ohne Zögern auf die Erfordernisse der Zeit und des Gegenstandes. Zur Vocal-Musik, obgleich ihn alle Arten von Musik vergnügen, scheint er nicht geschaffen. Das ganze Antlig entspricht seinen Geistesgaben, stets Anmuth und Heiterkeit zeigend, und geneigter zu Scherzen, als zum Ernste und zur Amts-Miene, jedoch auch weit entfernt von Albernheiten und Possen. Diese Heiterkeit des Antliges scheint

in späteren Jahren durch den Drang der Geschäfte und den Ernst des Lebens überhaupt aus More's Zügen verschwunden zu seyn; denn kaum trägt Eines von Holbeins Bildnissen so sehr das Gepräge ernster Würde, als das seines Gönners Morus, welches Walpole und andere mit vollem Rechte unter die gelungensten Arbeiten unsres teutschen Meisters setzen 39). Heiterten sich etwa die Züge dieses Gesichtes blos für Erasmus und andere Freunde des Sir Thomas auf, und hatte Ersterer auch wohl Gelegenheit, den strengen Richter zu sehen? (Beilage B. des zweiten Abschnittes. )

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More erfreut sich, so berichtet ferner Erasmus, eher einer guten als starken Gesundheit, die ihn zu Arbeiten tauglich macht. Seines Vaters rüstiges Alter verspricht auch ihm ein langes Leben. Seine Nahrung ist einfach, Lieblingsspeisen sind Hausbrod, Pöckelfleisch, Milchspeisen, Eier. In der Kleidung liebt er die Einfachheit, und verschmäht Seide, Purpur und goldene Ketten, die er nur trägt, wenn es nöthig ist. HöflichkeitsBezeugungen haben in seinen Augen keinen Werth, daher deren Vernachläßigung; da er sie von Niemanden begehrt, so ist er eben nicht ängstlich, sie Andern zu erzeigen, weder bei Zusammenkünften, noch bei Gastmahlen ; doch weiß er sie, wenn es erforderlich, anzuwenden, hält es aber für weibisch und unmännlich, mit solchen Ungereimtheiten einen guten Theil der Zeit zu verderben. Hauptsächlich ist ihm das Hofleben verhaßt, wogegen er Freiheit und Muße über Alles erhebt. In der Freundschaft kann er als vollkommenes Muster gelten. Der Umgang mit erprobten Freunden macht sein größtes Vergnügen, seine vorzüglichste Unterhaltung aus, denn er verabscheut Karten und Spiele jeglicher Art, womit der

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