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Robert Sprenger's

Bemerkungen zu Dramen Shakespeare's.

Der Verfasser dieser Programm-Abhandlung leitet die Arbeit mit folgenden Worten ein:

Max Koch schreibt in seinem bekannten Buche über Shakespeare, nachdem er auf dessen schon von Lessing erkannte Geistesverwandtschaft mit Sophokles hingewiesen hat (S. 287): „Leider weist Shakespeare, der Renaissancedichter, auch noch eine Aehnlichkeit mit den hellenischen Dramatikern auf: die mangelhafte Textüberlieferung“. Seitdem auch mir dies zur festen Ueberzeugung geworden ist, habe ich bei Stellen, die ich als verderbt erkannt hatte, immer versucht, durch Einleben in den Zusammenhang und Beobachtung des Sprachgebrauchs dem ursprünglichen Texte näher zu kommen. Große Dienste leisteten mir bei diesen Bestrebungen Karl Elze's <<Notes on Elizabethan Dramatists» (2. Ausg. in 1 Bde. Halle, Max Niemeyer 1889). Nach ihrem Plane habe ich, wenn auch im Einzelnen oft abweichend, weitergebaut. Indem ich nun die Gelegenheit, eine Anzahl meiner Bemerkungen mitzutheilen, benutze, wünsche ich, daß sie, wenn auch nicht immer die echte Lesart treffend, doch stets etwas zur Erkenntniß derselben beitragen möchten. Benutzt habe ich außer allgemein bekannten oder unten genauer citierten Werken noch E. A. Abbott, «A Shakespearian Grammar». New Edition. London: Macmillan and Co. 1881. - Die Verszählung ist die der Globe-Edition. Horace Howard Furness, der große amerikanische ShakespeareHerausgeber greift in einem Aufsatze in «Poet-Lore» mit eingelegter

Lanze das Emendieren des Textes, die Konjekturen, an; und für populäre Auffassung auch mit Erfolg. Denn er sagt, trotz etwaiger Mängel im überlieferten Texte seien weder das Verständniß des Dichters, noch der Genuß an seinem Werke verkümmert, und es könne dies vielmehr Platz greifen durch frivole und gewaltthätige Aenderungen an demselben. Gewiß ist dies richtig; nur vergißt Furness, daß er mit diesem Satze, wenn er ihn allgemein anwendet, den größten Theil menschlichen Forschens für unnütz erklärt. Wozu brauchen wir die Protuberanzen der Sonne, wozu die Krater des Mondes zu beobachten? Auch ohne dies erwärmt und beleuchtet uns die Sonne bei Tage, erhellt uns der Mond mit seinem matten Lichte die Nacht. Was nützt es uns, wenn wir wissen, daß unsere Patronymica aus dem Sanskrit stammen, und daß unser Wort «Vater>> seine Quelle im indischen «pitar>> aus der Wurzel «pat», welche «<ernähren » heißt - findet? Auch ohne diese Erkenntniß erfährt jedes Kind aus der Praxis, daß sein Vater es ernährt, wie die Praxis es lehrt, daß es von der Mutter gesäugt wird, selbst wenn es nie geahnt hat, daß das Wort «Mutter» einer indischen Wurzel <<mat» entstammt, welche «säugen» heißt. Wozu brauchen wir die Arbeit der Korallenthiere, die Entfernung des Saturn und die Stellung seiner Monde, wozu die Schwingungen der Lichtwellen zu beobachten? Welchen materiellen Nutzen bringen uns die Entzifferuugen der ägyptischen Papyrusrollen und der Keilschrift? Welchen das Lesen der Hieroglyphen oder die Erforschung der Geschichte jener Jahrhunderte, die an die Mythe streifen? Kann es uns nicht ganz gleichgültig sein, ob die Odyssee, oder das Nibelungenlied von einer einzelnen Persönlichkeit gedichtet wurden, oder ob sie allmählich unter dem Mitwirken Verschiedener zu dem herauskrystallisierten, was die Dichtungen uns jetzt bieten? Wir können ohne alle diese Kenntniß leben, essen, trinken, schlafen und gedeihen; und doch strebt die Menschheit durch alle Jahrhunderte hin nach Erkenntniß, nach klarer und tiefer Ergründung, nach Säuberung und Befreiung vom Irrthum; und wenn ein Forscher im Golfe von Neapel die Quallen des Meeres mikroskopisch untersucht, und wenn Virchow aus dem Baue der Schädel der verschiedensten Jahrhunderte und Völkerschaften gelehrte und belehrende Schlüsse zieht so thun sie alle, alle dasselbe sie schaffen das, was wir die Kultur des 19. Jahrhunderts nennen! Und wenn ihre Arbeit im einzelnen auch nur dem langsamen Schaffen der Korallenthiere gleicht, so soll man doch nicht vergessen, daß uns dieses unmerkliche Schaffen allmählich ganze Kontinente gegeben

hat! Wenn Furness Recht hätte, was nützte dann seine eigne, große Arbeit, zu der wir staunend aufblicken und die ihn unsterblich macht? Auch ohne sie könnte man Shakespeare's Dichterwerke genießen und bewundern!

Aber der Angriff Furness' richtet sich auch wohl weniger gegen emendierende Textsäuberung überhaupt, als gegen den Unfug, der mit frivoler, sachunkundiger und unpoetischer Verstümmelung des Textes allüberall getrieben wurde und noch heute getrieben wird. Welche Monstra von Emendationen sind in den drei Jahrhunderten der Shakespeare-Textkritik geschaffen worden! Und sie gleichen der Hydra ein abgeschlagenes Haupt bringt hundert neue hervor! Irgend ein Geldfürst soll einmal gesagt haben: „Jeder Mensch, der eine armselige Million besitzt, hält sich für einen Millionär!" So, glaube ich, ist man berechtigt, zu sagen: „Jeder, der sein Englisch versteht und den Shakespeare lesen kann, glaubt emendieren zu dürfen!" Und gegen das hieraus hervorgehende Unheil ist kein Angriff scharf und unerbittlich genug, und in diesem Sinne stehe ich ganz auf Seiten Furness'!

Herr Sprenger steht in Bezug auf seine Emendation auf dem Boden des Elze'schen Arbeitsmaterials. Nun, Elze bietet uns eine voll ausgeprägte, tief wissenschaftliche und überraschend vielseitige, überall in verdientem Maße hochanerkannte Persönlichkeit. Sein Ruf ist so fest begründet, daß er es sehr wohl vertragen kann, wenn man auch auf die Punkte hinweist, in denen er „sterblich" gewesen ist, und kein Sachkundiger wird behaupten, daß Elze gerade im Emendieren glücklich sei, wie es auch ein Größerer als er, Nikolaus Delius nämlich, nur selten war. Die Basis «Elze» also war für einen Jünger im Arbeitsgebiete des Emendierens keine sehr haltbare, besonders, wenn zu ihrer Stütze nicht die Kenntniß alles dessen herbeigeholt wurde, was frühere Mitarbeiter gethan hatten. Mit Elze, Abbott's Grammatik und Schmidt's Lexikon allein läßt sich nur in seltensten Fällen etwas Abschließendes schaffen.

Die Arbeit des Herrn Sprenger ist, wenn auch reich an augenfälligen Mängeln, doch ein Beleg dafür, daß er es mit der Sache ernst meint. Es ist ihm ergangen, wie uns allen; wir haben uns alle über unsere ersten Emendationen herzlich gefreut, und sie für wundervoll und überzeugend zweifellos gehalten, und sind später doch dahin gekommen, ihren größesten Theil zu verleugnen und auszustreichen. Ich konnte erst nach langer und schmerzlicher Erfahrung an mir selbst zur Erkenntniß der Lehre gelangen, der ich

einem jungen Dichter gegenüber Ausdruck gab, welcher mich um mein Urtheil über seine Leistungen bat. Ich sagte ihm: „Sie haben sehr viel Talent, aber Sie müssen in intimere Beziehung zu Ihrem Papierkorbe treten. Sie lassen zu schnell und zu viel drucken. Erst wenn man den Muth gefunden hat, ein selbst Geschaffnes zu vernichten, weil es nicht allen Ansprüchen genügt, darf man auf wirklich gute Frucht hoffen." Trotz des guten Rathes werde ich mich nicht wundern, wenn mir dieser und jener heute noch zuruft: Warum richtest Du selbst Dich nicht nach Deinen Worten?" Aber

nicht von mir ist die Rede, sondern von einer jungen, neuen Kraft, und der wenigstens will ich das gelobte Land zeigen, wenn ich es auch selbst nicht erreicht haben mag. Ich thue das um so lieber, als Herr Sprenger die Güte hatte, mir für das Jahrbuch noch weiteres Material, im Sinne der vorliegenden Arbeit, anzubieten. Vielleicht werden meine hier ausgesprochenen Bemerkungen ihn veranlassen, dem Rathe des Horaz, cum grano salis, zu folgen; es brauchen ja nicht neun Jahre zu sein, aber reifen lassen wird er vielleicht sein Werk, und sichten, ehe er es zum Drucke giebt.

Cymbeline. I, 1, 15b.

Nay, let her languish,

A drop of blood a day, and being aged,

Die of this folly.

Herr Sprenger sagt: „Obgleich bisher Niemand an dem folly der Folio Anstoß genommen hat, scheint mir dies doch dem Zusammenhange nicht zu entsprechen. Der König wünscht seiner Tochter im Zorn einen qualvollen, langsamen Tod. Ich glaube deshalb, daß Shakespeare schrieb:

Nay, let her languish,

A drop of blood a day, and, being aged,

Die of this fully."

«

Und «<
ganz » << fully » ?
Und ist nicht mehr Inhalt

In der That hat bisher niemand Anstoß an dem Worte folly genommen, und wird es hoffentlich auch ferner nicht. Was soll denn fully bedeuten? Sie soll ganz daran sterben? Woran? Daß sie täglich einen Tropfen Bluts verliert? Stirbt man denn auch anders als ganz? darin, wenn man liest, daß der Vater den Fluch ausspricht, sie solle an diesem Wahnsinn - folly - nämlich ihrer Wahl des Gatten, langsam hinsiechen und sterben? Die Uebersetzung hätte unserm Autor einen Wink geben können:

Mag sie verschmachten

Täglich um einen Tropfen Bluts; und alt

An dieser Thorheit sterben!

II, 4, 6.

In these fear'd hopes

I barely gratify your love;

,,Daß das feard hopes der 1. Fol. entstellt ist, hat nach meiner Ansicht Elze («Notes» S. 303) richtig nachgewiesen. Wir kommen der Vorlage näher, wenn wir schreiben: In these fair hopes. Vgl. IV, 2, 343: This forwardness makes our hopes fair."

Was das feard hopes' bedeuten soll, hätte unser Autor nicht an der von ihm citierten, wohl aber an einer andern Stelle finden können: As You Like It, V, 4, 6.

As those that fear they hope, and know they fear.

Die Form dieser Zeile ist nicht ganz unbestreitbar, aber den vollen Inhalt hat jeder an sich kennen gelernt: diese Furcht im Hoffen, daß die Hoffnung nicht erfüllt werde. Diese unsichre Hoffnung ist die einzige Garantie, die ich Euch geben kann." In der vom Autor angeführten Belegstelle ist hope wirklich fair und nicht to be feared, also kann sie nicht als Unterstützung der neu vorgeschlagenen Lesart dienen.

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Die oben aus As You Like It, V, 4, 6 angeführte Stelle wäre vielleicht durch ein Semikolon hinter dem ersten fear klar zu machen: Duke S. Dost thou believe, Orlando, that the boy

Can do all this that he hath promised?

Orl. I sometimes do believe, and sometimes do not;

As those that fear; they hope, and know they fear.

Es geht ihm, wie den Muthlosen; sie hoffen zwar, wissen aber doch, daß sie eigentlich fürchten.

III, 4, 2. Auch hier bedarf es kaum einer Aenderung der Folio.

Never long'd my mother so, as I have now longed

giebt erschöpfenden Sinn, und in solchem Falle ist eine Emendation nicht nöthig, also nicht erlaubt.

III, 4, 51.

Whose mother was her painting:

Erst die Schminke hat sie zu dem gemacht, was sie ist.

Pander

und broker sagen nichts andres, und so kann die alte Lesart stehn bleiben.

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