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Soll ich den lieben Vater mein

Im besten Schlaf erwecken?

Es wachet ja sein gutes Pferd,

Es wacht sein Speer, sein Schild und Schwert,

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Herrn Milons Roß bestieg er dann
Und ritt ganz sachte durch den Tann,
Den Vater nicht zu wecken.

Und als er kam zur Felsenwand,

Da sprach der Ries' mit Lachen:
Was will doch dieser kleine Fant

Auf solchem Rosse machen?

Sein Schwert ist zwar so lang als er,
Vom Rosse zieht ihn schier der Speer,

Der Schild will ihn erdrücken."

Jung Roland rief: „Wohlauf zum Streit!
Dich reuet noch dein Necken,

Hab' ich die Tartsche lang und breit,
Kann sie mich besser decken;

Ein kleiner Mann, ein großes Pferd,
Ein kurzer Arm, ein langes Schwert,
Muß eins dem andern helfen."

Der Riese mit der Stange schlug
Auslangend, in die Weite,

Jung Roland schwenkte schnell genug

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Sein Roß noch auf die Seite.

Die Lanz' er auf den Riesen schwang,
Doch von dem Wunderschilde sprang
Auf Roland sie zurücke.

Jung Roland nahm in großer Haft
Das Schwert in beide Hände,
Der Riese nach dem seinen faßt,
Er war zu unbehende;

Mit flinkem Hiebe schlug Roland
Ihm unterm Schild die linke Hand,
Daß Hand und Schild entrollten.

Dem Riesen schwand der Muth dahin,
Wie ihm der Schild entrissen,
Das Kleinod, das ihm Kraft verliehn,
Mußt er mit Schmerzen missen.
Zwar lief er gleich dem Schilde nach,
Doch Roland in das Knie ihn stach,
Daß er zu Boden stürzte.

Roland ihn bei den Haaren griff,
Hieb ihm das Haupt herunter,
Ein großer Strom von Blute lief
Ins tiefe Thal hinunter,

Und aus des Todten Schild hernach
Roland das lichte Kleinod brach,

Und freute sich am Glanze.

Dann barg er's unterm Kleide gut

Und ging zu einem Quelle,

Da wusch er sich von Staub und Blut
Gewand und Waffen helle.

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Zurücke ritt der jung' Roland
Dahin, wo er den Vater fand,
Noch schlafend bei der Eiche.

Er legt sich an des Vaters Seit',
Vom Schlafe selbst bezwungen,

Bis in der kühlen Abendzeit

Herr Milon aufgesprungen :

„Wach' auf, wach' auf, mein Sohn Roland!
Nimm Schild und Lanze schnell zur Hand,
Daß wir den Riesen suchen!"

Sie stiegen auf und eilten sehr,
Zu schweifen in der Wilde,
Roland ritt hinterm Vater her
Mit dessen Speer und Schilde.
Sie kamen bald zu jener Stätt,
Wo Roland jüngst gestritten hätt',
Der Riese lag im Blute.

Roland kaum seinen Augen glaubt,
Als nicht mehr war zu schauen
Die linke Hand, dazu das Haupt,

So er ihm abgehauen,

Nicht mehr des Riesen Schwert und Speer,

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Auch nicht sein Schild und Harnisch mehr,
Nur Rumpf und blut'ge Glieder.

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Milon besah den großen Rumpf:

Was ist das für 'ne Leiche?

Man sieht noch am zerhaunen Stumpf,

Wie mächtig war die Eiche.

Das ist der Riese, frag' ich mehr?

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Verschlafen hab' ich Sieg und Ehr',
Drum muß ich ewig trauren."

Zu Aachen vor dem Schlosse stund
Der König Karl gar bange:
,,Sind meine Helden wohl gesund?
Sie weilen allzu lange.

Doch seh' ich recht, auf Königswort!
So reitet Herzog Haimon dort,
Des Riesen Haupt am Speere."

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Herr Haimon ritt in trübem Muth,

Und mit gesenktem Spieße

Legt' er das Haupt, besprengt mit Blut,

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Der Herzog Naims von Baierland

Kam mit des Riesen Stange:

Schaut an, was ich im Walde fand!

Ein Waffen, stark und lange.

Wohl schwig' ich von dem schweren Druck,
Hei! bairisch Bier, ein guter Schluck,
Sollt' mir gar köstlich munden!"

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Graf Richard kam zu Fuß daher,
Ging neben seinem Pferde,
Das trug des Riesen schwere Wehr,
Den Harnisch samt dem Schwerte :
,,Wer suchen will im wilden Tann,
Manch Waffenstück noch finden kann,
Ist mir zu viel gewesen."

Der Graf Garin that ferne schon
Den Schild des Riesen schwingen:
„Der hat den Schild, deß ist die Kron',
Der wird das Kleinod bringen!"

Den Schild hab' ich, ihr lieben Herrn!
Das Kleinod hätt' ich gar zu gern,

Doch das ist ausgebrochen."

Zuleht that man Herrn Milon sehn,
Der nach dem Schlosse lenkte,
Er ließ das Rößlein langsam gehn,
Das Haupt er traurig senkte.
Roland ritt hinterm Vater her

Und trug ihm seinen starken Speer

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