Der Artikel 47 des kirchlichen Büchergesetzes in der Konstitution „Officiorum ac munerum". Dr er Wichtigkeit und dem Zwecke des Gesetzes entsprechend ist die Verpflichtung des kirchlichen Bücherverbotes an und für sich eine schwere für alle. Moralisten und Kanonisten stimmen hierin überein. Daraus folgt selbstverständlich nicht, daß jede Übertretung dieses Gesetzes und jede Lesung eines verbotenen Buches eine Todsünde ist. Irrtum ist es auch, zu wähnen, die Sünde werde schwerer, wenn das gelesene Buch durch ein eigenes Dekret namentlich verboten auf dem Index steht, als wenn dasselbe durch irgend einen der allgemeinen Artikel 1 der Konstitution „Officiorum ac munerum“ untersagt ist. Von größerem Irrtum sind jedoch die befangen, welche glauben, die verbotene Lesung eines auf dem Index stehenden Buches ziehe jedesmal die schwere Kirchenstrafe der Exkommunikation nach sich. Es gilt ja überhaupt als allgemeine Regel der Moral und des Kirchenrechts, daß von jener Strafe nur schwerere Vergehen getroffen werden. Wenn daher die Übertretung des Büchergesetzes aus irgend einem objektiven oder subjektiven Grunde nicht zur Todsünde wird, so kann aus diesem Grunde schon von einer Exkommunikation nicht die Rede sein. Überdies handeln in dem neuen Gesetze, in der obengenannten Konstitution, nur drei Artikel oder Paragraphen über die Kirchenstrafen oder Zensuren, welche der Übertretung der Büchergesetze folgen. Dies sind die Artikel 47-49. Nach dem letzten Paragraphen 49 liegt es im allgemeinen den Bischöfen ob, über die Beobachtung des ganzen Gesetzes zu wachen, Zuwiderhandelnde zu vermahnen und nötigenfalls durch kirchliche, kanonische Strafen zurechtzuweisen. Diese Strafen sind demnach vollständig dem Gutbefinden der Bischöfe anheimgestellt. Die beiden andern Paragraphen dagegen setzen bestimmte Strafen für bestimmte Vergehen fest. Der Artikel 48 verhängt nämlich die Strafe der niemand vorbehaltenen Exkommunikation ohne weiteres über diejenigen, welche Bücher der Heiligen Schrift oder Anmerkungen oder Kommentare dazu ohne die vom Gesetze verlangte Gutheißung des zuständigen Bischofes drucken oder drucken lassen. Von dieser Strafe kann jeder rechtmäßige Beichtvater lossprechen, wofern das Beichtkind sich nur den kirchlichen Forderungen unterwirft. Die genannte Strafbestimmung des Paragraphen 48 findet sich 1 S. diese allgemeinen Verbote bei Hilgers, Der Index der verbotenen Bücher, Freiburg i. Br. 1904, 26 ff. Hilgers, Papstbriefe. 1 ursprünglich in der Verfügung des Tridentinischen Konzils 1. Sie wurde in der Bulle „Apostolicae Sedis" vom 12. Oktober 1869 durch Pius IX. neu bestätigt und in Artikel 48 von Leo XIII. klarer gefaßt. Hier beschäftigt uns hauptsächlich der erste jener drei Artikel. I. Der Artikel 47 ist der Hauptstrafparagraph des neuen kirchlichen Büchergesetzes; er hat vornehmlich praktische Bedeutung. Derselbe lautet: Jeder, der wissentlich ohne Erlaubnis des Apostolischen Stuhles Bücher von Apostaten oder Irrlehrern, welche eine Irrlehre verteidigen, oder auch Bücher irgend eines Verfassers, die namentlich durch apostolische Briefe verurteilt sind, liest oder aufbewahrt, druckt oder irgendwie verteidigt, verfällt ohne weiteres der dem römischen Papste ganz besonders vorbehaltenen Exkommunikation. Der Paragraph ist wörtlich aus der Konstitution „Apostolicae Sedis" herübergenommen. In diesem Punkte ward also das seit 1869 bestehende Recht durch die neue Bulle „Officiorum ac munerum" nicht geändert. Es gelten daher die früheren Kommentare dieser Strafbestimmung auch heute noch. Die Strafe selbst ist die Exkommunikation, die ohne vorhergehenden Urteilsspruch der Sünde folgt, und zwar so, daß nur der Papst selbst oder einer, welcher vom Papste die ganz besondere Vollmacht hierzu erhalten hat, von dieser schwersten Zensur lossprechen kann. Derjenige, welcher aus irgend einem Grunde nicht weiß, daß eine solch schwere Strafe auf die Übertretung gesetzt ist, verfällt der Zensur nicht, und zwar auch dann nicht, wenn er im allgemeinen wüßte, daß das Buch irgendwie verboten ist oder auf dem Index steht. Die Strafe trifft in derselben Weise nicht bloß die Leser eines unter solcher Strafe verbotenen Buches, sondern auch die, welche das Buch aufbewahren, und die, welche das Buch schützen oder verteidigen, sowie diejenigen, welche als Verfasser oder Herausgeber oder Drucker oder Verleger zum Erscheinen des Buches unmittelbar tätig sind. Es ist zu beachten, daß ausdrücklich „libri", „Bücher", unter Strafe gestellt sind. Was also diesen Namen im eigentlichen, engeren Sinne des Wortes nicht verdient, kann auch nicht Anlaß zu der Kirchenstrafe sein. Deshalb verfallen derselben nicht die Leser, Aufbewahrer, Verteidiger, Drucker von Schriften kleineren Umfanges, Broschüren, Zeitungen, noch auch die Leser, Aufbewahrer und Verteidiger von Handschriften selbst größeren Umfanges, wie schwer sich dieselben dabei auch im übrigen versündigen mögen. Ja sogar größere lithographierte Werke und die sog. „als Manuskript gedruckten Bücher" können nicht im strengen Sinne des Wortes und des Gesetzes als eigentliche Bücher gelten. 1 Sess. 4, Decr. de editione et usu sacrorum librorum. Zwei Klassen von Büchern ziehen die Strafe des Artikels 47 nach sich: A. Alle offenbar häretischen Bücher, welche einen Irrlehrer oder Apostaten zum Verfasser haben. Es genügt aber nicht, daß die Bücher etwa die eine oder die andere Irrlehre enthalten und dieselbe wie im Vorübergehen stützen. Hier sind nur solche Bücher gemeint, welche eine oder mehrere Irrlehren vortragen, dieselben zu beweisen und zu begründen suchen und so die Häresie verteidigen. Dagegen ist es nicht notwendig, daß das verbotene Buch ein ausgesprochen religiöses oder theologisches Werk sei, da in Werken fast aller Wissenschaften Irrlehren gegen den wahren Glauben vorgetragen und verteidigt werden können. Ebensowenig wird erfordert, daß das schlechte Buch vorher namentlich von der Kirche verboten und auf den Index gesetzt sei. Da hier ausdrücklich die Rede ist von Büchern, welche Irrlehrer oder Apostaten zu Verfassern haben, so sind von Artikel 47 auch ausgeschlossen diejenigen Bücher, welche zwar eine Häresie verteidigen, jedoch etwa von einem Katholiken verfaßt wurden, der, ohne sich dessen bewußt zu werden, sich von einer Irrlehre gefangen nehmen ließ. Erscheint ein häretisches Buch anonym, ohne den Namen des Verfassers, oder ist der Verfasser zwar genannt aber wenigstens als Irrlehrer oder Apostat nicht bekannt, so zieht es die Strafe nur dann nach sich, wenn es alle andern Merkmale der hier im Artikel 47 betroffenen häretischen Bücher an sich hat. In diesem Falle nämlich nimmt man vernünftigerweise an, daß der Verfasser wirklich ein Irrlehrer oder Apostat ist. Schon früher, vor dem Erscheinen der Bulle „Officiorum ac munerum“, war es eine von den Theologen allgemein angenommene Ansicht, daß die Werke der alten Häretiker, wie Tertullian, Pelagius u. ä., nicht mehr als streng verboten gelten, weil die in denselben verteidigten Irrtümer als veraltet und nicht mehr gefährlich angesehen werden. Zu diesen den Gelehrten jetzt erlaubten Werken darf man heute wohl ohne Skrupel auch die Schriften der mittelalterlichen Häretiker rechnen, zumal die neue Bulle im allgemeinen eine mildere Praxis gelten lassen will. Daraus folgt aber, daß die Lesung usw. häretischer Bücher aus der mittleren Zeit, welche den Irrtümern des Protestantismus vorausgehen, noch viel weniger im Artikel 47 mit der Exkommunikation bedroht ist. Praktisch darf deshalb z. B. die Lesung und Benutzung der Labbeschen Konziliensammlung und der Migneschen Ausgabe der Väterschriften einfachhin auch ohne besondere Erlaubnis als gestattet betrachtet werden. B. Die zweite Bücherklasse des Artikels 47 umfaßt die „Bücher", welche namentlich vom Papste durch ein apostolisches Schreiben verurteilt wurden. Es handelt sich also auch hier zunächst nur um eigentliche Bücher in dem Sinne, der oben erklärt wurde. Zweitens müssen diese Bücher durch eigentliche „apostolische Schreiben" verboten sein. Unter einem solchen Schreiben versteht man nicht einen vom Papste gutgeheißenen Erlak irgend einer römischen Kongregation, nicht einmal irgend ein Dekret der römischen Inquisition, sondern nur eine unmittelbar vom Papste erlassene schriftliche Urkunde, ob dieselbe nun als Bulle oder Breve, als allgemeines Rundschreiben oder als einfacher Papstbrief erscheint. Damit aber die in derartigen päpstlichen Schreiben verbotenen Bücher die schwere Zensur des Artikels 47 nach sich ziehen, ist nicht nur erfordert, daß diese Urkunden mit der darin verhängten Strafe heute noch in voller Geltung stehen, sondern es muß zweitens auch in dem betreffenden Papstbrief ausdrücklich die dem Papste vorbehaltene Exkommunikation auf die Lesung der verbotenen Bücher gesetzt sein, und drittens müssen die Bücher namentlich, im einzelnen, mit ihrem Titel unter dieser Strafe verurteilt sein. Fehlt eine der genannten drei Bedingungen, so ziehen die im Papstbriefe verurteilten Bücher nur dann die schwere Zensur des Artikels 47 nach sich, wenn dieselben zugleich zu der obigen ersten Bücherklasse als häretische Bücher gehören. In mehreren Papstschreiben finden sich neben der Exkommunikation auch noch andere Strafbestimmungen, z. B. die reservierte Suspension für Kleriker; auch ist bei verschiedenen Schriften nicht bloß die Druckschrift, sondern überdies die Handschrift unter Strafe verboten. Außerdem werden in einigen apostolischen Briefen neben der Hauptschrift oder den Hauptschriften, gegen die sich das Verbot namentlich und im einzelnen richtet, noch andere Schriften unter gleicher Strafe im allgemeinen verboten, nämlich Schriften gleichen oder ähnlichen Inhaltes oder solche, welche die genannten Hauptschriften verteidigen. Alle diese Strafbestimmungen kommen jetzt in Wegfall, da dieselben durch die Bulle „Officiorum ac munerum" nicht erneuert sind. Man könnte der Ansicht sein, daß dort, wo die Strafe der Suspension für Kleriker wegfällt, die Strafe der reservierten Exkommunikation nunmehr für alle, auch für die Kleriker, gilt, obgleich diese früher nur für Laien festgesetzt war 1. Da es sich in den meisten dieser Fälle um Schriften handelt, die als „häretische" vom Papste gekennzeichnet sind, ergibt sich schon aus diesem Grunde die Strafe der Exkommunikation für alle, auch für die Kleriker, wenigstens bei solchen häretischen Büchern, die einen Irrlehrer oder Apostaten zum Verfasser haben. Allein für die wenigen Fälle, in denen das den Laien unter reservierter Exkommunikation verbotene Buch nicht ausdrücklich als häretisch qualifiziert ist, wird man nach den allgemeinen Interpretationsregeln sagen müssen, daß ein solches für die Nichtlaien, die kirchlichen Personen, nur noch als im Index stehend, nicht aber unter einer Kirchenstrafe verboten ist. Die Strafe der Suspension ist eben weggefallen und an Stelle derselben weder von der Bulle „Apostolicae Sedis" noch von der Bulle „Officiorum ac munerum“ ausdrücklich für die kirchlichen Personen etwas anderes eingesetzt worden. Es ist möglich und vielleicht auch wahrscheinlich, daß der Gesetzgeber, wenn er die ganze Sachlage klar vor Augen gehabt hätte, ausdrücklich die Exkommunikation auch auf die kirchlichen Personen ausgedehnt hätte. Allein da dieses in Wirklichkeit nicht geschehen, darf es durch Interpretation nicht hineingelegt werden; denn bei solchen Strafbestimmungen muß das Gesetz möglichst genau nach dem Wortlaut aufgefaßt und ausgelegt werden. II. Die vorliegende Abhandlung setzt sich als Hauptzweck, in kirchenrechtlicher und in bibliographischer Beziehung Aufschluß zu geben über die durch apostolische Schreiben verurteilten Schriften, ganz besonders über jene, welche 1 In Wirklichkeit entscheidet sich dafür A. Vermeersch, De prohibitione et censura librorum, Romae 1906, 153, n. 6. im neuen Index Leos XIII. als durch solche Schreiben verboten aufgeführt werden. Nur auf diese Weise läßt sich bestimmen, ob die Lesung dieser Schriften die schwere Kirchenstrafe des Artikels 47 nach sich zieht oder nicht. Deshalb wird der erste Teil der Abhandlung nur in Kürze die Schriften verzeichnen, welche entweder vor 1600 durch eigene päpstliche Erlasse verurteilt wurden, oder welche zwar nach 1600 in gleicher Weise verboten wurden, aber aus irgend einem Grunde in dem Index der verbotenen Bücher nicht verzeichnet sind. Hierbei werden auch die durch Beschluß eines Konzils für die ganze Kirche verbotenen Bücher aufgeführt. Alle in diesem ersten Teil vermerkten Schriften haben das miteinander gemein, daß sie wenigstens als durch apostolische Schreiben verurteilt nicht oder nicht mehr unter Kirchenstrafe verboten gelten. Hier ist noch zu beachten, daß die päpstlichen Schreiben, welche wir aus dem Index der verbotenen Bücher kennen und die eben zu diesem Zweck eigens erlassen wurden, um Bücher oder Schriften im einzelnen zu verbieten, ihren Anfang nehmen unter dem Papste Klemens VIII. Das kirchliche Bücherverbot nahm erst um das Jahr 1600 die festen Formen an, welche in allem Wesentlichen bis 1900 bestanden und auch von Leo XIII. der Hauptsache nach nicht aufgegeben worden sind 1. Das älteste im Index Leos XIII. aufgeführte Papstschreiben, durch welches Bücher verboten wurden, stammt aus dem Jahre 1602. Im ersten Teile dieser Arbeit werden daher päpstliche Urkunden mit Bücherverboten aus früherer Zeit (vor 1600) verzeichnet, weil es sich sachlich um ähnliches oder gleiches handelt, ob zwar die kirchenrechtlichen Folgen des Artikels 47 hierbei nur dann eintreten, wenn etwa in einem Papstschreiben des 16. Jahrhunderts häretische Bücher verboten sind. Alsdann wirkt nämlich der erste Teil des Artikels 47, in dem diese häretischen Bücher mit der genannten Kirchenstrafe bedroht sind. Der zweite oder Hauptteil dieser Studie beschäftigt sich genauer und im einzelnen mit allen Schriften, welche im Index Leos XIII. als durch päpstliche Schreiben verboten aufgeführt werden 2. Vom Anfange des 17. Jahrhunderts an galt diese Verurteilung durch ein päpstliches Schreiben als das bedeutsamste und feierlichste Bücherverbot. Besonders bei der Prüfung gefährlicher Schriften in der römischen Inquisition, dem heiligen Offizium, kam es nicht selten vor was später wohl zu einer Gewohnheit ward -, dak bei besonders verderblichen Büchern das heilige Offizium sich selber an den Papst wandte mit der Bitte, ein bestimmtes Buch durch ein apostolisches Schreiben noch nachdrücklicher und wirksamer unter Androhung von Kirchenstrafen zu verbieten. Es entsteht jetzt die Frage, welche von den im Index Leos XIII. als durch Papstschreiben verbotenen Büchern in der Tat die Zensur des Artikels 47 nach sich ziehen. Denn obgleich der Artikel 47 diese Strafe allgemein für alle auf diese Weise verurteilten Bücher 1 Der neue Index führt die vor 1600 verbotenen Bücher nicht mehr namentlich auf. Allein auch in den frühesten Indices und in den ersten des 17. Jahrhunderts waren die vor 1600 durch Papstschreiben verbotenen Bücher nicht als solche ausdrücklich gekennzeichnet. 2 Vgl. Hilgers, Der Index der verbotenen Bücher 96 ff. |