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eigenen Worte an, um mich vor dem Vorwurf der Entstellung zu bewahren: »So bilden Ilias und Odyssee in ihrer Gesammtheit einen xúxλos, dessen Mittelpunkt die Ads Bový ist (wie das Prooemium zur Ilias angiebt und damit die allgemeine Grundlage jedes cyklischen Gedichtes enthält S. 109); dazu kommt, dass speciell in der Odyssee alle Sagen von Odysseus, die in der Telemachie, in der Phaeakis, in den Gedichten, welche auf dem ersten und zweiten Motive beruhten, in dem Schlusse zum Ausdruck gelangten, sich herbeiziehen liessen, um den xúxλos zu vervollständigen. Dieses Streben aber setzt voraus, dass die beiden Gedichte Ilias und Odyssee wieder aus dem Cyklus (dem trojanischen?) herausgenommen und endgültig so gestaltet wurden, wie wir sie jetzt lesen. Bei dieser Gelegenheit wurde durch die Kommission des Pisistratus die Phaeakis, die Erkennungsscene mit ihren Attributen und der Schluss der Odyssee dem Werke eingefügt, die Nekyia umgestellt und überarbeitet, sicher auch noch eine Reihe anderer Einschübe, wie z. B. der Eberjagd im XIX. Buche, vorgenommen, die wir aber nicht alle aufzuzählen im Stande sind. Pisistratus vereinigte so die verschiedenen über Odysseus verbreiteten Sagen in seinem Cyklus, eine Arbeit, die schon durch den Begriff des Wortes, das auch Sagenkreis bedeutet, nahe gelegt wurde; ja er durfte es sich als ein besonderes Verdienst anrechnen, wenn er jene neuen Bestandteile seines kleinen trojanischen Cyklus der Odyssee durch die ursprüngliche, jetzt freilich anders motivierte uves Poseidon's einfügte und so das alte, echte Motiv wieder zur Geltung brachte« (S. 115). So ist auch hier der Kreis geschlossen! Die mit der Einfügung der Odyssee in den »Cyklus« erfolgte Ausscheidung der vs Poseidon's tritt mit der Herstellung des »Cyklus in höchster Potenz«<, freilich in veränderter Gestalt, wieder in ihre Rechte! Unklar bleibt übrigens noch, ob unter dem »Schlusse der Odyssee«, welchen die Kommission des Pisistratus hinzufügte, derselbe gemeint ist, welcher bei der Einfügung in den anderen Cyklus wegbleiben musste, oder ob sie einen neuen erfunden hat, um den oben bezeichneten Kreisschluss zu gewinnen.

So gewinnt nun auch Adam eine Zeitbestimmung für die Abfassung des epischen (trojanischen?) Cyklus. Da nämlich der letzte Dichter, dessen Werk dem Cyklus einverleibt wurde, Eugamon von Kyrene, um 570 lebte, Pisistratus aber, nachdem er in den ruhigen Besitz seiner Herrschaft gelangt war (seit 542), die Ilias und Odyssee schon wieder aus demselben herausgenommen haben soll, so muss die Entstehung des Cyklus in die Jahre 560-540 fallen, wogegen sich nichts einwenden lesse, wenn die Praemisse richtig wäre, dass Pisistratus die Ilias und Odyssee aus dem Cyklus wieder herausgenommen habe. Als Verfasser nun des epischen Cyklus sieht Adam den Cinaethus aus Chios und die dortige Homeridenschule an. Er folgert dies aus drei Scholien zu der bekannten Stelle Pindar's (Nem. II. 1), wo die Homeriden pantõv ènéwv

ἀοιδοὶ genannt werden, besonders aus den Worten: ̔Ομηρίδαι πρότερον μὲν ̔Ομήρου παῖδες, ὕστερον οἱ περὶ Κύναιθον ῥαβδωδοί· οὗτοι γὰρ τὴν ̔Ομήρου ποίησιν σκεδασθεῖσαν ἐμνημόνευον καὶ ἐπήγγελον· ἐλυμήναντο δὲ αὐτὴν πολύ. Mit dem λυμαίνεσθαι sei die Art gemeint, wie die Cykliker διὰ τὴν ἀκολουθίαν τῶν πραγμάτων die Gedichte, welche sie dem Cyklus einverleibten, verstümmelten und interpolierten. Unter Oppov пoinois seien alle im Cyklus bearbeiteten Gedichte (nicht blos Ilias und Odyssee) verstanden, da ja nach Johannes Philoponos (s. o.) einige sogar den epischen Cyklus dem Homer zugeschrieben hätten. Und dieser epische Cyklus sei auch gemeint, wenn Sokrates bei Plato (im Hipparch, dieser wird nämlich von Adam für echt platonisch gehalten!) von Hipparch sage: τὰ ̔Ομήρου πρῶτος ἐκόμισε εἰς τὴν γῆν ταυτηνί· καὶ ἠνάγκασε τοὺς ραψωδούς Παναθηναίοις ἐξ υπολήψεως ἐφεξῆς αὐτὰ διέναι, ὥσπερ νῦν ἔτι ofoε поLOUσ. Bekannt seien die homerischen Gedichte schon lange gewesen; während aber Pisistratus aus Odyssee und Ilias den kleinen Cyklus (oder »Cyklus in höchster Potenz«) habe herstellen lassen, habe sein Sohn den grossen epischen Cyklus (doch wohl nur den trojanischen?) eingeführt (S. 118-122). Auch eine Erklärung der widerstreitenden Nachrichten! Der epische Cyklus war also der Homer der Athener! Doch Adam geht noch weiter; derselbe Cynaethus, der den epischen Cyklus hergestellt, den Hymnus auf Apollo gedichtet und um 500 in Syrakus homerische Gedichte rhapsodierte hat, hat auch in der Pisistratiden-Kommission gesessen. Adam hat die »fast an Gewissheit streifende Vermutung«<, dass sein Name an den vier bekannten Stellen, welche über die Pisistratiden - Kommission handeln, statt des verderbten Kóyxolos herzustellen sei (S. 123). Also statt ἐπι κάγκυλος wird einfach Χίος Κύναιθος hergestellt, und das ist dann auch Kritik! Es ist zu bedauern, dass der Verfasser so unkritisch verfährt und dass er aus Stellen Schlüsse zieht, die nicht zwingend sind. So interessant also auch das hier behandelte Thema ist, und so richtig manche Beobachtung, eine Lösung der schwierigen Frage wird uns nicht gebracht. Das Verhältnis der Ilias und Odyssee zum epischen Cyklus muss noch einmal methodisch untersucht werden. Anregend aber ist das Buch gewiss geschrieben, und in der Aufsuchung von allen nur möglichen auf den Gegenstand bezüglichen Notizen zeigt sich grosser Fleiss. Dagegen ist die neuere Litteratur fast ganz unberücksichtigt gelassen, und nicht schön sieht es aus, wenn der Name Ritschl zweimal (S. 117. 122) in zweisilbiger Form erscheint.

5) Les Questions Homériques à la Sorbonne en 1835-1836 cours de M. Fauriel. Annuaire de l'Association pour l'encouragement des études grecques en France. Paris 1880. p. 1–59.

Die Société des études grecques hat, wie wir aus der Einleitung erfahren, den Herrn Eugène Talbot beauftragt, eine genaue Analyse der Vorlesungen Fauriel's an der Sorbonne in den Jahren 1835 und 1836

über die homerische Frage zu geben, weil sie glaubt, dass viele der Leser Interesse daran finden würden, die Ansicht dieses berühmten Forschers über diese so wichtige Frage genauer kennen zu lernen. Wir können dieses Interesse nicht ganz teilen; es hat für uns höchstens einen historischen Wert, wenn wir einmal einen Blick werfen können auf den Standpunkt der homerischen Frage nach dem epochemachenden Werke Fr. A. Wolf's und vor dem Erscheinen der entscheidenden Arbeiten Lachmann's über die Ilias und Kirchhoff's über die Odyssee; aber etwas Besonderes daraus lernen können wir nicht. Sollte die Veröffentlichung einen wirklichen Wert haben, so hätte der Herausgeber am Schlusse des Ganzen oder in entsprechenden Anmerkungen hinzufügen müssen, was davon noch heute allgemeinen Wert habe und was durch die Untersuchungen Späterer berichtigt oder widerlegt worden ist. Wir finden also im ersten Teile alle die Fragen erörtert, welche vor Lachmann den Hauptgegenstand der Untersuchung ausmachten, ob es nämlich möglich gewesen sei, ohne Hülfe der Schrift eine Dichtung von solchem Umfange wie Ilias und Odyssee zu verfassen, und es wird diese Möglichkeit unter Hinweisung auf ähnliche Erscheinungen bei anderen Völkern (Kalmücken, Indern, Spaniern, Franzosen, Engländern) und besonders unseres Nibelungenliedes zugegeben (S. 3-20). Weiter wird über die Verbreitung der Gesänge durch Aoeden und Rhapsoden gesprochen, deren Vorkommen, besonders in der Odyssee, beweise, dass der Abfassung der homerischen Gedichte schon eine lange Pflege des Heldengesanges vorausgehe. Der Unterschied zwischen Aoeden und Rhapsoden wird dahin bestimmt, dass die ersteren, gleichgestellt mit den Homeriden auf Chios, nicht blos einfache Sänger waren, sondern auch selbst dichteten und andere Gedichte überarbeiteten, die Rhapsoden dagegen epische Gedichte nur vortrugen. Ihre Kunst blühte nur solange, als das griechische Volk die Gedichte nicht selbst geschrieben vor sich hatte. Weder die Aoeden noch die Rhapsoden haben sich, vorausgesetzt dass sie auch die Schrift gekannt haben, derselben bedient, um die Gedichte aufzuschreiben (S. 36). Die erste schriftliche Redaction der Gedichte sei erst unter Pisistratus und zwar in den letzten Jahren seiner Regierung erfolgt. Nun seien sie in den Schulen gelesen und von den Diaskeuasten in mannichfacher Weise verändert worden, bis die Alexandriner eine neue kritische Redaction der Gedichte vorgenommen hätten (S. 41). Es werden dann, besonders auf Grund der Arbeiten Fr. A. Wolf's, des Dänen Koës (vom Jahre 1805), Spohn's (1816), Thiersch's (1821) und Gottfried Hermann's, einige besonders scharf hervortretende Widersprüche zuerst in der Ilias, dann in der Odyssee hervorgehoben, um zu beweisen, wie sehr die ursprünglich einheitliche Composition alteriert worden sei (46-51). Endlich wird aus der verschiedenen religiösen und sittlichen Auffassung in der Ilias und Odyssee geschlossen, dass die letztere einen wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung der griechischen Culturverhältnisse zeige

und deshalb unmöglich von demselben Verfasser wie die Ilias sein könne. So kommt der Verfasser zu dem Schlusse, dass es ursprünglich ein Lied vom trojanischen Kriege und eins von den Irrfahrten des Odysseus gegeben habe, welche sich vor allen andern ausgezeichnet hätten und deshalb von Munde zu Munde weiter verbreitet wurden. Dabei seien sie in verschiedener Weise verändert und erweitert worden. Aber la nécessité une fois reconnue d'un grand nombre d'essais et de rédactions successives entre Homère et Pisistrate, entre Pisistrate et les Alexandrins, la critique doit s'arrêter et reconnaître son irrémédiable impuissance, conclusion negative, il est vrai, mais digne, après tout, des laborieuses recherches qu'elle a coutée: eine immerhin beherzenswerte Mahnung. Denn wenn unsere Kenntnis über die Entstehungsart der beiden grossen Epen scit Fauriel sich auch bedeutend erweitert hat, und besonders Kirchhoff mit Erfolg den Versuch an der Odyssee gemacht hat, ihre ursprüngliche Gestalt zu ermitteln, so ist es doch noch immer nicht gelungen, eine Ansicht über das Mass einer gewissen Wahrscheinlichkeit hinaus zu begründen, und zuviel ist in dieser Richtung gefehlt worden, um nicht jene Mahnung berechtigt erscheinen zu lassen.

6) A. Kiehne, Der Dichter Homeros und die Wolf'sche Hypothese. N. Jahrb. f. Phil. 1879. S. 801-806.

Der Verfasser will auf den wenigen Seiten, wie es scheint, nur auf sein »in Vorbereitung befindliches Werk über die Composition der Odyssee aufmerksam machen, das mittlerweile erschienen ist, unter dem Titel: Die Epen des Homer«, Hannover 1881. Eine genauere Besprechung desselben behalte ich mir für den nächsten Jahresbericht vor. Hier will ich nur der Vollständigkeit wegen die Hauptgedanken der vorliegenden kleinen Abhandlung anführen. Der Verfasser wendet sich zunächst gegen den »Mythus von der dichtenden Sage, unter der die einzelnen Sänger in gleichem Grade stehen, dass sie ihren individuellen persönlichen Charakter einbüssen«. Vielmehr sei »das Versmass und die heilige Verehrung für den Dichter« die Veranlassung des einheitlichen Charakters des Stils, der poetischen Diction und Gestaltung. Auch nicht die göttliche Kraft der Sage«, sondern » die Muse, deren göttliche Wirksamkeit der alte Dichter an sich zu erfahren glaubte«, hätte die einzelnen Charaktere geschaffen, wofür als Beleg der Charakter des Thersites angeführt wird. Dabei kommt Kiehne zu dem höchst erstaunlichen Schluss, »dass eine gelehrte und gründliche Kenntnis der griechischen Sprache kein notwendiges Erfordernis ist für die Beurteilung der Frage, ob die Ilias wie die Odyssee éinen Dichter für ihre Abfassung mit Notwendigkeit voraussetzen oder ausschliessen; zweitens, dass gerade die Philologen bei dem gegenwärtigen Stande der homerischen Kritik am wenigsten geeignet sind, ein unbefangenes Urteil über die aufgeworfene Frage abzugeben. So müssen wir wohl mit unserem Urteil, aus Furcht, dass

es kein unbefangenes sein könnte, auch über diese Ansicht des Verfassers zurückhalten und nur mit einer gewissen Scheu seinen übrigen Auseinandersetzungen folgen. Für die Einheit also der Ilias und Odyssee macht er ferner das Zeugnis des Aristoteles geltend, welcher ausdrücklich erklärt, dass von allen epischen Dichtern der Griechen es dem Homer allein gelungen sei, seine Epopöen um eine einheitliche und ganze Handlung zu gruppieren. Es sei undenklich, dass was die übrigen epischen Dichter in ihren eigenen Schöpfungen nicht zu leisten vermochten, die Pisistratiden-Kommission oder »die poetische Kraft und Erfindung der epischen Genossenschaft« (Bernhardy Gr. Litt. II. S. 148) hergestellt habe. Aber noch ein zweites Wunder sollen die verschiedenen Sänger zu Stande gebracht haben. »Sie alle sagen (auch nach dem Urteil des Aristoteles über Homer) einleitend nur weniges in eigener Person und führen sofort Charaktere ein, so dass die Handlung in dramatischer Frische und Kraft fortschreitet und sich entwickelt, die Charaktere selbst in voller Klarheit und Bestimmtheit sich ausleben und mit gleicher Kunst gezeichnet erscheinen; während die übrigen epischen Dichter das meiste in eigener Person erzählten und nur weniges und selten nachahmend darstellten«. Das sei widersinnig und damit würde der gesammten aus dieser Hypothese erwachsenen Kritik die Basis entzogen. Andere Beweise für den éinen Homer will der Verfasser ein andermal liefern (s. o.).

7) W. v. Christ, Die Interpolationen bei Homer vom metrischen und sprachlichen Gesichtspunkte beleuchtet. Sitzungsber. der königl. bayer. Akad. d. Wiss. 1879. S. 141 - 205*).

Die Ueberschrift besagt mehr, als der Verfasser in der Arbeit selbst durchführt. Denn wer glaubt in derselben bestimmte sprachliche oder metrische Merkmale zu finden, an denen eine Interpolation zu erkennen sei, findet sich bei der Lectüre enttäuscht. Der Verfasser gesteht selbst (S. 142), dass er längere Zeit, angeregt besonders durch die Arbeiten Hoffmann's (Quaestiones Homericae), Giseke's (Homerische Forschungen) und Hartel's (Homerische Studien), Sammlungen von sprachlichen und metrischen Eigentümlichkeiten bei Homer angelegt habe, dabei aber schliesslich zu keinem Resultate gekommen sei. Erst als Naber in seinen Quaestiones Homericae die bestimmte Behauptung aufgestellt hatte: 'id hodie, opinor, consentiunt omnes, sermonis nulla superesse indicia, quibus utaris ad solvendam perplexam quaestionem quam Wolfius primus movit', nahm der Verfasser die Untersuchung wieder auf, um zu sehen,

*) Wenn ich hier die Arbeit einer Besprechung unterziehe, so geschieht es natürlich nur, weil sie die Fragen der höheren Kritik auf diesem Wege zu lösen versucht. Von anderem Gesichtspunkt aus hat sie Cauer besprochen im Jahresb. des philol. Vereins (Zeitschr. f. Gymnasialw. 1881. S. 60).

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